Musikbasierte Kommunikation – Hansjörg Meyer
Musik ist seit Menschengedenken ein Medium der Kommunikation. Fast jeder Mensch lässt sich von Musik berühren und ist somit in irgendeiner Weise musikalisch. Das gilt für normal begabte Menschen ebenso wie für Menschen mit intellektuellen Einschränkungen, für Erwachsene, Kinder und sogar Kleinkinder – unabhängig von ihrem IQ. Der Grund dafür liegt in der engen Verwandtschaft der Musik mit der frühen Kommunikation zwischen Erwachsenen und Babys, in der es beim Wiegen, Schaukeln, Beruhigen, Spielen, im „Baby-Talk“ oder der „Motherese“ um das Finden gemeinsamer Tempi und Rhythmen, um die Abstimmung der Bedeutung von Blicken, Mimik und Lauten geht. Das hat schon in den ersten Lebenswochen durchaus musikalischen Charakter. Unsere ersten Empfindungen sind also musikalisch. Das hinterlässt lebenslange Spuren in uns als Freude an der Musik, als Ausdruck einer Sehnsucht, hin und wieder als deren Erfüllung, als Untermalung manch schöner Erinnerung, als das, was wir unter Musikalität verstehen.
Der Musiktherapeut Hansjörg Meyer formulierte 2009 auf der Grundlage seiner Arbeit und in Anlehnung an die Schöpferische Musiktherapie von Paul Nordoff und Clive Robbins das Konzept der Musikbasierten Kommunikation für Menschen mit komplexer Behinderung. Dieses explizit pädagogische und nicht therapeutische Konzept richtet sich an Fachkräfte und Laien, die im pädagogischen und pflegerischen Bereich mit Menschen mit komplexer Behinderung arbeiten und nach Wegen der Kommunikation jenseits des Verbalen suchen.
Seine musikalisch-motorischen Dialoge können einen Zugang ohne Worte zu Menschen mit komplexer Behinderung schaffen, indem sie auf ihre körperlichen Äußerungen mit frei improvisierter Musik mit der Stimme und einfachen oder komplexeren Instrumenten reagieren.
Die Musik bezieht sich dabei voll und ganz auf alles, was sein Gegenüber durch Bewegungen, Laute oder die Atmung ausdrückt. Meyer interpretiert all dies als in gewisser Weise musikalisch – Bewegungen haben z.B. einen Rhythmus und ein Tempo, Körperhaltung und Gesichtsausdruck verraten etwas über die Stimmung. Er spiegelt oder begleitet dies spontan und synchron mit passender Musik. Seine Antwort auf dem Instrument führt wiederum zu Reaktionen des Gegenübers, auf die ebenfalls musikalisch reagiert wird. Auf diese Weise entsteht ein musikalisch-motorischer oder musikalisch-stimmlicher Dialog und eine höchst individuelle Musik, die vom Gegenüber nicht nur verstanden wird, sondern vor allem das ausdrücken und hörbar machen kann, was der Betroffene möglicherweise fühlt.
Der behinderte Mensch erlebt seine Selbstwirksamkeit, dass er etwas kann, dass er mit seinen Äußerungen eine Musik hervorruft, die er steuern kann und die zu seinen Bewegungen und Gefühlen passt. Für viele Menschen ist dies eine gute Möglichkeit, sich auszudrücken und ins „Gespräch“ zu kommen.
Menschen mit komplexer Behinderung sind mit Worten oft schwer zu erreichen und können meist nur eingeschränkt kommunizieren. Ihre Erlebnisfähigkeit ist von dieser Beeinträchtigung jedoch nicht betroffen und nicht selten leiden diese Menschen darunter, sich nicht mitteilen zu können. Ein Beleg für diese ausgeprägte Erlebnisfähigkeit ist die oft erkennbare Begeisterung für Musik. Der emotionale Gehalt von Musik wird verstanden. Das Musikempfinden ist, wie das Gefühlsleben, von der hirnorganischen Beeinträchtigung nicht betroffen.
siehe auch: Vertiefungen | Musikbasierte Kommunikation
Filme
Weiterführende Materialien
Veröffentlichungen
Meyer, Hj. (2009): Gefühle sind nicht behindert. Freiburg: Lambertus.
Meyer, Hj. (2010): Komponisten mit schwerer Behinderung. Freiburg: Lambertus.
Meyer, Hj (2012): Musikbasierte Kommunikation. Karlsruhe: Von-Loeper-Literaturverlag
Meyer, Hj.; Sansour, T.; Zentel, P. (Hrsg.) 2015: Musik und schwere Behinderung. Karlsruhe: Von-Loeper-Literaturverlag .
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Website(s)
Musikbasierte Kommunikation für Menschen mit schwerer Behinderung
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