Begleitung
Psychosoziale Unterstützung und Begleitung
Die Ergebnisse des Projektes PiCarDi belegen, dass auch Menschen mit geistiger und komplexer Behinderung sich häufig wünschen zu Hause bzw. in einer vertrauten Umgebung zu Sterben [9]. Dahinter kann das Bedürfnis nach Geborgenheit und Sicherheit stehen. Dieses kann gegebenenfalls auch durch die Anwesenheit von vertrauten Personen und vertrauten Gegenständen wie z.B. Bettwäsche, Kuscheltieren oder Kleidung aber auch durch vertraute und positivbesetzte Düfte und Musik oder Geräusche hergestellt werden. Gegebenenfalls kann auch eine (Lieblings-)Geschichte vorgelesen werden. Die Anwesenheit von Bezugspersonen kann zusätzlich aufgrund eingeschränkter verbalsprachlicher Möglichkeiten wichtig sein. Sie können dabei unterstützen nonverbale Äußerungen einer Person zu verstehen, da sie mit dem Lesen der körperlichen und lautlichen Äußerungen der Person meist sehr vertraut sind.
Der Wunsch nach Nähe, danach soziale Beziehungen weiter zu pflegen, am „normalen“ Leben teilzuhaben und Begegnungen mit anderen Menschen zu erleben, spiegelt ebenfalls die psychosoziale Dimension der Bedürfnisse in der letzten Lebensphase wieder. Soziale Isolation von Menschen am Lebensende ist zu vermeiden.
Genauso kann es aber auch zum Wunsch nach Ruhe kommen. Daher sollten Begleitende sich gegebenenfalls zurückziehen und sensibel darauf achten, ob ihre Anwesenheit gerade gewünscht ist oder nicht. Manche Personen empfinden es auch als wohltuend Zeit in Gruppenräumen zu verbringen oder die Zimmertür geöffnet zu haben, sodass gewohnte Geräusche aus der Wohnumgebung hereindringen können.
Autonomie stellt ein weiteres zentrales psychisches Bedürfnis dar. Die Möglichkeit, selbst über seinen Alltag, das was geschieht – und was nicht – (mit) zu bestimmen, wird als Indikator für die Güte des Begleitungs- und Versorgungsprozesses am Lebensende gesehen und ist maßgebend für eine würdevolle Begleitung. Menschen mit komplexer Behinderung befinden sich diesbezüglich aufgrund eines erhöhten Unterstützungsbedarfs in einer besonderen Situation. Dazu finden sich im Abschnitt Autonomie und Entscheidungsfindung weitere Ausführungen.
Um die Selbstbestimmtheit und den Respekt vor dem Willen einer Person im Fokus zu behalten, vor allem, wenn diese sich nicht (mehr) äußern kann, kann Wissen über ihre Lebensgeschichte hilfreich sein. Dieses Wissen kann
- Informationen zur Vergangenheit einer Person,
- zu ihren kulturellen Überzeugungen,
- ihrem familiären und sozialen Umfeld,
- zu Dingen, die im Leben schön waren und die geschafft wurden,
- zu Wahrnehmungen in der Gegenwart,
- zu Vorlieben und Abneigungen
- und Vorstellungen von der Zukunft umfassen.
Diese Aspekte prägen das Erleben eines Menschen und haben somit einen erheblichen Einfluss auf das, was er als Lebensqualität empfindet und in der Begleitung (am Lebensende) präferiert. Biographiearbeit kann bei Begleitpersonen zu einer Sensibilität für diese Aspekte führen und sollte im besten Fall schon in Zeiten, in denen es einer Person gut geht, begonnen und in Absprache mit ihr dokumentiert werden. Bei der Person selbst kann Biographiearbeit darüber hinaus zum Reflektieren von Erlebtem anregen. Am Lebensende kann sie zu einer bedarfsgerechten und würdevollen Begleitung beitragen [10], z.B. indem Begleitende einem schwerkranken bzw. sterbenden Menschen einzelne Momente aus seiner dokumentierten Biografie nacherzählen oder auch verhindern, dass in der Begleitung am Lebensende etwas getan wird, was dieser Mensch noch nie gemocht hat. So erfährt das gelebte Leben Würdigung und der schwerkranke bzw. sterbende Mensch wird in seinem (Geworden-)Sein und in seiner Einzigartigkeit gesehen. Biografische Aufzeichnungen können darüber hinaus Aufschluss darüber geben, welche Abschiede ein Mensch bisher erlebt hat, wie er auf diese reagiert hat und so eventuell zu einem Verständnis darüber beitragen, wie das eigene Sterben erlebt wird und welche Erfahrungen und Emotionen dabei eine Rolle spielen können. [11]
Die psychosoziale Begleitung umfasst emotionalen Beistand. Es kann wichtig sein, dass Betroffene die Möglichkeiten erhalten, über ihre Gefühle, Ängste, Sorgen und Fragen in Interaktion zu treten, diese auszudrücken oder jemanden an ihrer Seite zu haben, der diese schweigend mit ihnen aushält. Es kann davon ausgegangen werden, dass auch Menschen mit komplexer Behinderung im Sterbeprozess eine große Bandbreite an Emotionen, wie Abwehr, Schock, Rückzug, Ohnmacht, Wut, Zorn, Hoffnung, Depression oder auch innere Ruhe durchleben.
Insgesamt ist es wichtig, dass Begleitende sich darüber bewusst sind, dass sie nicht in allen Bereichen kompetent sein können und müssen. Stattdessen kann die Zusammenarbeit mit Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen, ehrenamtlichen Hospizbegleiter:innen und anderen Fachleuten als entscheidender Bestandteil einer umfassenden psychosozialen Begleitung gesehen werden. Auch eine Trauerbegleitung kann bereits mit Diagnosestellung oder im Sterbeprozess sinnvoll werden.