Atmung & Atemunterstützung

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Atmung und Atemunterstützung am Lebensende

Atmung bei komplexer Behinderung

Erschwerte Atmung
über die Lebensspanne

 

Atmen ist ein (vielleicht sogar das) wichtiges (wichtigste) Grundbedürfnis des Menschen. Ringt ein Mensch um Luft dann wird dies als lebensbedrohlich erlebt.

Gerade Menschen mit komplexer Behinderung haben aufgrund unterschiedlicher chronischer Erkrankungen oder Folgen von körperlichen Behinderungen oft lebenslang mit Beeinträchtigungen der Atmung zu kämpfen. Sehr häufig treten Lungenentzündungen und Bronchitiden auf, die oft schwerwiegend verlaufen und zu Krankenhauseinweisungen bis hin zur Lebensbedrohung führen können.

Skoliosen und andere
Skelettdeformationen

Dies hat verschiedene Gründe. Durch die Bewegungseinschränkungen, die häufig mit einer schweren Spastik verbunden sind, kommt es häufig schon im Kindesalter zu Skelettdeformationen, in Form schwerer Rückgratverkrümmungen (Skoliosen, Kyphosen) und Anomalien in der Stellung des Brustbeins (Kiel- oder Trichterbrust). Diese können zu einer Verlagerung von Teilen der Lunge führen. Außerdem neigen Menschen mit komplexer Behinderung zu übermäßiger Schleimbildung, oft ist dieser dann sehr zäh und es fehlt aufgrund der allgemeinen Muskelschwäche die Kraft zum Abhusten [1].

Infektionen durch Krankheitserreger
und durch Aspiration in der Lunge

 

Sekretstau, Mangelbelüftung und schlechte Durchblutung führen einerseits zu einer Verringerung der Atemkapazität und begünstigen andererseits die Ansiedlung von Bakterien und Viren in der Lunge und damit das Entstehen der genannten Infektionen [2]. Ungünstig wirkst sich auch die Mundatmung aus, sie begünstigt ebenfalls eine Reizung der Atemwege und Entzündungen durch eintretende Krankheitserreger.

Ein weiteres, häufig unterschätztes, Problem, stellt die Aspiration, das Einatmen von Nahrungsbestandteilen, als Folge von Schluckstörungen, dar. Gelangt Nahrung in die Luftröhre und wird dabei auch der schützende Hustenreflex nicht oder nicht rechtzeitig ausgelöst, können Nahrungsbestandteile in tiefere Bereiche der Lunge gelangen. Dies kann Entzündungen der Lunge, sog. Aspirationspneumonien, bewirken [3].

Die häufigen Erkrankungen führen dazu, dass bei vielen Menschen mit komplexer Behinderung die Lunge im Lebensverlauf immer wieder Schaden nimmt, Lungengewebe zerstört oder umgebaut wird und die Atemkapazität geringer wird.

Erschwernisse der Atmung am Lebensende

Zusätzliche
Erschwernisse

 

Kommen nun noch Komplikationen am Lebensende, wie z.B. Wassereinlagerungen und allgemeine Schwäche hinzu, führt dies zu weiteren Erschwernissen der Atmung. Des Weiteren verschlimmern Ängste und Schmerzen zusätzlich die Atemsituation und lassen Menschen oberflächlich atmen. Hinzu kommt bei Menschen mit ICP ein erhöhter Muskeltonus, der sowohl Schmerzen verstärken als auch Atemnot verschlimmern kann.

Zusammenhang Atmung,
Spastik, Schmerzen
Angst und Stress

Ein Diagramm zeigt einen Kreislauf mit vier miteinander verbundenen Elementen: Schmerzen (körperlich, seelisch, sozial), Atmung, Stress, Angst, Panik und Spastik. Pfeile zwischen diesen Elementen weisen auf eine kontinuierliche, wechselseitige Beziehung hin.

Verstärkung von Schmerzen, Spastik und Stress

Die Abbildung zeigt die Zusammenhänge zwischen den Phänomenen Schmerz, Angst und Stress, Spastizität und Atmung. Es ist zu vermuten, dass gerade Menschen mit komplexer Behinderung und schwerer Cerebralparese lebenslang und ganz besonders in palliativen Zuständen von solchen Stressschleifen betroffen sind. Diese gilt es zu beeinflussen. Durch Massagen, Ausstreichungen und körperumgrenzende Positionierung kann Spastik nachlassen, dies verbessert die Schmerz- und Atemsituation [4]. Beruhigende Waschungen und körperbezogene (Kommunikations-)angebote können Stress und Angst reduzieren und damit auch einen positiven Einfluss auf die Muskelspannung und Atmung haben.

Pflegerisch-therapeutische Möglichkeiten zur Atemunterstützung

Einfache
Möglichkeiten

Allgemein kann Frischluftzufuhr, z.B. durch das Öffnen der Fenster oder durch einen Ventilator das Atmen erleichtern [5]. Eine aufrechte und am Oberkörper gut unterstützte Lagerung kann die Atemhilfsmuskulatur aktivieren. Andererseits kann auch eine Seitenlage hilfreich sein, weil dadurch Schleim, der nicht (mehr) geschluckt werden kann, leichter abfließt und die Atemwege frei hält. Möglicherweise ist es auch hilfreich, beengende Kleidung oder schwere Zudecken zu entfernen.

Kontaktatmung

Darüber hinaus gibt es einige pflegerisch-therapeutische Methoden, die zu einer Verbesserung der Atemsituation beitragen können.

Mit der Methode der Kontaktatmung kann eine oberflächliche und schnelle Atmung vertieft und beruhigt werden. Bei dieser Methode werden die Hände auf den Brustkorb gelegt und die Atmung wird begleitet. Es ist dabei hilfreich den Atemrhythmus des Menschen mit komplexer Behinderung aufzunehmen. Durch leichten Druck auf den Brustkorb wird das Ausatmen unterstützt, beim Einatmen wird durch leichten Zug mit den Händen Luft in die Lunge „hinein gezogen“ [6].

Die Berührung durch die Hände übt dabei einen Reiz auf die Dehnungsrezeptoren der Lungenmuskulatur aus und bewirkt eine Entfaltung und damit Belüftung der stimulierten Areale [7]. Die Atmung sollte dabei von der Brust in den in tiefere Bereiche der Lunge (Bauch und Flanken) gelenkt und die Phase des Ausatmens verlängert werden. Viele Menschen reagieren bei der Kontaktatmung mit einer deutlichen Vertiefung und mit einer langsameren und regelmäßigen Atmung, was sowohl Einfluss auf den Spannungszustand der Körpermuskulatur als auch auf psychische Prozesse haben kann.

Kontaktatmung: Abbildung von zwei nebeneinander stehenden menschlichen Figuren. Beide Figuren haben sichtbare Skelettstrukturen. Im linken Bild liegen zwei Hände auf den Rippen und der oberen Brust. Im rechten Bild liegen die Hände tiefer, näher am Bauchbereich.

Kontaktatmung [8]

Atemstimulierende
Einreibung

Atemstimulierende Einreibung: Abbildung des Rückens einer Person, wobei die Wirbelsäule in der Mitte durch eine gelbe gestrichelte Linie dargestellt ist. Rote und braune geschwungene Linien markieren vier nummerierte Abschnitte (1-4), die wahrscheinlich Muskeln oder Bereiche hervorheben, die in einem anatomischen Kontext von Interesse sind.

Atemstimulierenden Einreibung [10]

Eine ähnliche Wirkung hat die von Bienstein [9] im Rahmen der Basalen Stimulation in der Pflege entwickelte Atemstimulierende Einreibung. Sie kann die Atmung vertiefen und rhythmisieren und Menschen damit beruhigen, entspannen und ihnen Ängste nehmen. Auch bei dieser Methode ist es notwendig, dass Betreuende den Atemrhythmus des Menschen aufnehmen. Die Bewegung der Hände und der ausgeübte Druck sind dabei dem Atemrhythmus angepasst. Der Bewegungsfluss der Hände auf dem Rücken der Person ist in der Abbildung zu sehen. In der Ausatmung streichen die Hände mit erhöhtem Druck in Daumen und Zeigefinger parallel zur Wirbelsäule (1), danach bewegen sich die Fingerspitzen nach außen und der Handballen beschreibt einen kleinen Kreis (2), dabei ist der Druck in den kleinen Fingern und der Kleinfingerkante erhöht. In der Einatmung wird der Kreis mit der Hand in Richtung Wirbelsäule zurück geschlossen (3), dabei soll der Druck nachlassen. Durch die Aufwärtsbewegung der Hand bekommen die Rippenbögen den Impuls, sich zu heben und es wird auf diese Weise die Einatmung unterstützt.

Kommunikation
über die Atmung

Die Kontaktatmung und die Atemstimulierende Einreibung sind nicht nur Maßnahmen, um physiologische Funktionen der Lunge zu verbessern und Entspannung zu vermitteln, sondern bieten auch die Möglichkeit, einem Menschen seine Atmung bewusst zu machen und über die Atmung mit ihm in Kontakt oder wie Fröhlich es formuliert, in einen somatischen Dialog [11] zu treten. Dieser vollzieht sich einerseits über die Berührung, die Wärme der Hände, und andererseits über den Atemrhythmus. Über einen berührungsgelenkten Austausch erfährt der Mensch seine Atmung und wird von seinem Gegenüber zu einem Atemdialog eingeladen und erfährt dadurch körperlich das Dasein einer Bezugsperson.

Umgang mit Atemnot, unregelmäßiger Atmung und Rasselatmung

Rasselatmung eine
Form des Atmens
im Sterbeprozess

 

Im Sterbeprozess, also den letzten Tagen und Stunden vor dem Tod, kann es zu unregelmäßiger Atmung und zur sog. „Rasselatmung“ kommen. Dies meint eine geräuschvolle, durch Rasseln charakterisierte Atmung. Sie kommt dadurch zustande, dass der sterbende Mensch Bronchialschleim oder Mundspeichel nicht mehr schlucken oder abhusten kann und dieser sich in den Atemwegen anreichert und sich dort auf und ab bewegt. In der Literatur wird beschrieben, dass sterbende Menschen dabei in der Regel keine Atemnot verspüren [12].

Schleim soll in der Sterbephase nicht abgesaugt werden, dies belastet den Menschen nur und regt weitere Schleimbildung an. Auch Sauerstoffgaben sind nicht sinnvoll, um eine Atemsituation zu verbessern. Im Gegenteil trocknet dieser den Mund und Rachen zusätzlich aus [13].

Hilfe bei Atemnot
am Lebensende

 

Wenn ein Mensch unter der Rasselatmung oder anderweitig erschwerter Atmung leidet, können die o.g. Maßnahmen, wie Frischluftzufuhr, aufrechte und gestützte Position und das Entfernen von Kleidung oder Decken hilfreich sein. Evtl. kann auch eine Seitenlage angeboten werden, so kann Schleim besser abfließen. Opiate wirken ebenfalls atemerleichternd, weil sie am Atemzentrum eine Toleranzerhöhung in Bezug auf das erhöhte Kohlendioxid im Körper ermöglichen und damit die Atemnot nehmen [14]. Bei Ängsten und Stress bei Atemnot können Beruhigungsmittel, wie Diazepine (Lorazepam), helfen. Um einer vermehrten Bronchialsekretion entgegen zu wirken, können Medikamente, wie Scopolamin oder Butylscopolamin, eingesetzt werden [15]

Quellen

[1] vgl. Traub 2000, S. 234 [2] vgl. Schäffler 1997, S. 113; Klaas 1999, S. 30f. und Fröhlich 2003, S. 94 [3] vgl. Schäffler 1997, S. 202 [4] vgl. Walper 2016, S. 64f. [5] vgl. ebd.. und Hartmann & Wördehoff 2018, S. 71 [6] vgl. Enderling 2000, S. 175f. [7] vgl. ebd. [8] – in Anlehnung an Enderling 2000 S. 176 [9] vgl. Bienstein 1999, S. 161 [10] in Anlehnung an Schürenberg 2000 S. 142 [11] vgl. Fröhlich 2003, S. 67 [12] vgl. Netzwerk Palliativmedizin Essen [13] vgl. Hartmann & Wördehoff 2018, S. 72 [14] vgl. ebd. [15] vgl. Netzwerk Palliativmedizin Essen



Literatur

Bienstein, Ch. (1999): Berühren ist Begegnen. In: Bienstein, Christel; Zegelin, Angelika (Hg.): Handbuch Pflege. Düsseldorf: selbstbestimmtes leben. 149-175.

Bienstein, Ch. & Fröhlich, A. (2004): Basale Stimulation in der Pflege (2. Aufl.). Seelze-Velber: Kallmeyer.

Fröhlich, A. (2015): Basale Stimulation: Ein Konzept für die Arbeit mit schwer beeinträchtigten Menschen. Düsseldorf: Verlag selbstbestimmtes Leben.

Enderling, G. (2000): Trainingsgeräte und Atemprogramme. In: Bienstein, Ch; Klein, G. & Schröder, G. (Hg.): Atmen Die Kunst der pflegerischen Unterstützung der Atmung. Stuttgart/New York: Thieme, S. 172-182.

Hartmann, B. & Wördehoff, D. (2018): Palliative Begleitung von Menschen in Wohnformen der Eingliederungshilfe. DGP. [Zugriff am 25.03.2024]

Netzwerk Palliativmedizin Essen (npe): Handreichung zum Umgang mit Rasselatmung in der Sterbephase. [Zugriff am 25.03.2024]

Schürenberg, A. (2000): Atemstimulierende Einreibung. In: Bienstein, Ch.; Klein, G. & Schröder, G. (Hg.): Atmen: Die Kunst der pflegerischen Unterstützung der Atmung. Stuttgart/ New York: Thieme, S.  139-143.

Walper, H. (2012): Basale Stimulation in der Palliativpflege. München: Ernst Reinhardt Verlag.