Medikamentöse Schmerztherapie

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Medikamentöse Schmerztherapie

Allgemeines zur Medikamentösen Schmerztherapie

generelle
Unterversorgung

 

Aus Untersuchungen ist bekannt, dass Menschen mit geistiger und komplexer Behinderung lebenslang mit Schmerzmitteln unter- oder fehlversorgt sind [1].

Ursachen dafür sind auf der einen Seite deren eingeschränktes Vermögen, ihren Schmerz auszudrücken, andererseits besteht eine große Unsicherheit bei Ärzt*innen bezüglich der Wahl, Dosierung und Applikationsart. Oft spielen hier Ängste vor Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten oder aber falsche Überzeugungen, insbesondere bezüglich verschiedener Medikamentengruppe wie z. B. der Opiate und Opioide, eine Rolle [2].

häufige
Probleme

Maier und Mayer [3] beschreiben häufige Fehler bei der medikamentösen Schmerztherapie bei Menschen mit Demenz. Diese lassen sich größtenteils auf Menschen mit komplexer Behinderung übertragen:

  • Schmerzen werden Menschen mit komplexer Behinderung manchmal abgesprochen.
  • Chronifizierende und chronische Schmerzen werden nicht oder stark verspätet erkannt. Verhaltensveränderungen, die langsam vonstattengehen, werden nicht bemerkt oder nicht als Schmerzausdruck erkannt, weil das Betreuungspersonal keinen Schmerz vermutet.
  • Zeigen Menschen mit komplexer Behinderung auffälliges Verhalten, z. B. Stereotypien, Selbstverletzungen, starke Unruhe oder Abwehrverhalten, wird dies eher als Verhaltens- oder psychisches Problem gedeutet und mit Neuroleptika behandelt. Daher werden Neuroleptika häufiger verordnet als Analgetika.
  • Analgetika werden zu spät eingesetzt. Oft ist der Weg von der ersten Beobachtung bis zur Verordnung und Gabe eines Schmerzmedikamentes durch Ärzt*innen aufwendig und hürdenreich.
  • Analgetika werden aus Angst vor Neben- oder Wechselwirkungen oft zu niedrig dosiert und nur bei Bedarf eingesetzt. Wenn diese nur dann gegeben werden, obwohl sie als Dauermedikation indiziert sind, kann sich kein kontinuierlicher Wirkspiegel aufbauen.
  • Schmerzarten werden nicht unterschieden und es wird beliebig nur ein Präparat eingesetzt.
  • Analgetika werden falsch kombiniert. Wenn Wirkzeiten, Wirkdauer und Wirkmechanismen der Analgetika nicht berücksichtigt werden, kann auch keine dauerhafte und gleichbleibende Schmerzlinderung greifen.

Grundsätze medikamentöser Schmerzbehandlung

WHO Stufenschema

 

Als allgemeine Orientierung für das Vorgehen in der Schmerztherapie gilt das WHO-Stufenschema. Es orientiert sich anhand von drei Stufen an der Schmerzstärke und verfolgt dabei den Algorithmus, dass leichte Schmerzen mit schwach wirksamen Schmerzmitteln und starke Schmerzen mit starken Schmerzmitteln behandelt werden. Das Stufenschema wurde 1986 von der WHO veröffentlicht [4].

Bei schwachen oder mittelstarken Schmerzen werden Schmerzmittel der ersten Stufe (z.B. Paracetamol, Metamizol, Acetylsalicylsäure, Ibuprofen) eingesetzt. Bestehen die Schmerzen unter der Behandlung weiterhin, so können schwach wirksame Opioide, z.B. Tramadol, Tilidin oder Hydrocodein verabreicht werden (Stufe zwei). Leidet die betroffene Person immer noch unter Schmerzen, so erhält sie stark wirksame Medikamente der Stufe drei, wie z. B. Hydromorphon, Oxycodon oder Fentanyl [5].

Aufgrund der Verschlimmerung chronischer und akuter Erkrankungen, wachsender Tumore, die auf Gewebe und Nerven drücken, hinzukommender Komplikationen, wie zum Beispiel Dekubiti, andere Wunden oder Wassereinlagerungen treten am Lebensende häufig schwere und schwerste Schmerzen auf. Diese sollten möglichst wirkungsvoll behandelt werden.

Kombination von
Medikamenten

Starke Schmerzen werden in der Regel mit Opioden und Opiaten behandelt. Diese lassen sich gut mit Schmerzmitteln der Stufe eins (z.B. Metamizol) kombinieren und damit in ihrer Wirkung verstärken [6]. Schmerzmedikamente können außerdem mit Co-Analgetika kombiniert werden, um bestimmte therapeutische Effekte (wie eine Entzündungshemmung, eine Angstreduktion oder eine Muskelentspannung) zu erreichen. Hierzu gehören Medikamente, die eigentlich für andere Krankheiten entwickelt wurden. Typischerweise werden Antikonvulsiva (Anfallsmedikamente), Antidepressiva (Medikamente gegen Depressionen), Muskelrelaxantien (muskelentspannende Medikamente), Kortikosteroide oder Biphosphonate als Co-Analgetika verwendet [7].

Nebenwirkungen

 

Bei jeder Schmerzbehandlung müssen potenzielle Nebenwirkungen bedacht und vorbeugend behandelt werden, dazu nutzt man sogenannte Adjuvantien. Hierzu gehören z. B. Antiemetika (Medikamente gegen Übelkeit/Erbrechen) oder Laxantien (Mittel gegen Verstopfung).

Grundsätze

Bei der medikamentösen Schmerztherapie sollten folgende Richtlinien berücksichtigt werden: Die Person erhält Schmerzmedikamente in einer ausreichenden Dosierung, optimalerweise durch retardierte (lang wirksame) Medikamente „nach der Uhr“ [8]. Das heißt, entsprechend der Wirkdauer erhält die Person in regelmäßigen Abständen eine angemessene Medikamentendosis. Zusätzlich können bei Bedarf, z. B. starke akute Schmerzen, Schmerzspitzen und Durchbruchschmerzen bei Tumorerkrankungen, kurz bzw. schnell wirksame Medikamente gegeben werden. Werden Schmerzmittel unterdosiert, in zu langen Abständen oder nur bei Bedarf gegeben, erlebt die Person immer wieder Schmerzen, die dann unter Umständen den Schmerzmittelbedarf erhöhen.

Für eine angepasste Gabe von Schmerzmedikamenten ist es wichtig zu wissen, wann deren Wirkung eintritt und wie lange diese anhält. Will man z. B. ein Schmerzmedikament vorbeugend geben, weil eine schmerzbesetzte Prozedur, beispielsweise ein belastender Transfer oder das Katheterisieren, zu erwarten ist, muss bekannt sein, wann das Schmerzmittel seine maximale Wirkung erreicht.

Darreichungsformen

Bei Komplikationen, z. B. Schluckstörungen, Erbrechen, Nahrungsverweigerung, müssen andere Applikationswege, z. B. Zäpfchen, Pflaster, Injektionen oder Pumpen, genutzt werden. Liegt eine PEG-Sonde, so kann  diese zur Schmerzmittelgabe genutzt werden. Hierbei sollte möglichst auf flüssige Darreichungsformen zurückgegriffen werden.

In der Praxis erscheint bei Menschen mit komplexer Behinderung, die unter starken Schmerzen leiden, der Einsatz von Schmerzpflastern als unkompliziert. Zu bedenken ist aber,

  • dass sie bei kachektischen (abgemagerten) Menschen nicht über die Haut aufgenommen werden und deshalb kontraindiziert sind,
  • dass sie nicht titrierbar sind, also nicht in fein angepasster Dosis appliziert werden können und
  • dass bei starkem Schwitzen oder Fieber eine erhöhte Resorption des Wirkstoffes stattfindet.

Stärkste Schmerzen und der „Morphin-Mythos“

Mythen um Opiate
und Opioide

Bei starken und stärksten Schmerzen, wie sie am Lebensende auftreten können, sind Opiate und Opioide unverzichtbar. Sie sind hochwirksam und tragen deshalb wesentlich zur Verbesserung der Lebensqualität sterbender Menschen bei. Neben der Schmerzreduktion, verbessern sie häufig die Schlafqualität, reduzieren Atemnot und lösen Angstgefühle [9]. Leider gibt es um das Morphin und synthetisch hergestellte Opiode immer noch viel „Mythen“, die an dieser Stelle besprochen werden sollen.

Myhten 300

Mythen um Opiate und Opioide [10]

Anpassung der
Medikation

Wichtig ist, dass die Wahl des Medikaments und der Applikationsform sowie die Dosierung durch erfahrene Palliativ- oder Palliativ- oder Schmerzmediziner*innen erfolgt und regelmäßig Wirkungen überprüft und Dosierungen angepasst werden. Ein ambulanter SAPV- Dienst kann dazu eine große Hilfe sein.

Palliative
Sedierung

Wenn die Symptomlast am Lebensende unerträglich wird, Schmerzen trotz Behandlung nicht beherrschbar sind und das Leid augenscheinlich groß ist, kann eine sog. Palliative Sedierung durch hohe Dosen von Opiaten vorgenommen werden. Diese kann intermittierend, in Akutsituationen oder wenn der Tod in den nächsten Stunden absehbar ist, dauerhaft sein. [11] Eine palliative Sedierungstherapie setzt einen sehr sorgfältigen ethischen Entscheidungsprozess mit Ärzt*innen, gesetzlichen Betreuer*innen, Angehörigen  und Pflegenden voraus. Besonders problematisch sind diese  Entscheidungen bei Menschen mit komplexer Behinderung, weil deren mutmaßlicher Wille, oft nicht bekannt und auch zu Lebzeiten nicht von ihnen geäußert werden konnte.

Quellen

[1] Fricke, Stappel 2011, S. 40 [2] ebd. [3] Maier, Mayer 2012, S. 71f. [4] Sittig 2018, S. 275 [5] ebd. [6] Kostrzewa 2020, S. 140f. [7] Strobach 2014, o.S. [8] Sittig 2018, S. 276 [9] ebd., S. 143. [10] in Anlehnung an Hartmann & Wördehoff 2018, S.72ff. und Kostrzewa 2020, S. 143f [11] Walper 2016, S. 96 



Literatur

Fricke, Ch. & Stappel, N. (2011): In Würde. Bis zuletzt. Hospizliche und palliative Begleitung und Versorgung von Menschen mit geistiger Behinderung. Augsburg: Eigenverlag des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e.V.

Hartmann, B. & Wördehoff, D. (2018): Palliative Begleitung von Menschen in Wohnformen der Eingliederungshilfe. DGP. [Zugriff am 25.03.2024]

Kostrzewa, St. (2020): Menschen mit geistiger Behinderung palliativ pflegen und begleiten: Palliative Care und geistige Behinderung. 2. Aufl. Bern: Huber Hogrefe.

Maier, R. & Mayer, P. (2012): Der vergessene Schmerz. Schmerzmanagement und -pflege bei Demenz. München: Ernst Reinhardt.

Sittig, H.-B. (2018): Schmerz in der Palliativmedizin. Medikamentöse Verfahren. In: Kayser, Hubertus et al. (Hg.): Kursbuch Palliative Care. Angewandte Palliativmedizin und -pflege. 3. Aufl. Bremen: UNI-MED, S. 275–315.

Strobach, D. (2014): Koanalgetika. Erweiterung der Schmerztherapie. In: Pharmazeutische Zeitung 16.   [Zugriff am 25.03.2024]

Walper, H. (2016): Basale Stimulation in der Palliativpflege. München: Ernst Reinhardt.