Atempause im Alltag

KONKRETISIERUNG  ·  Atempause im Alltag

 

SACHASPEKTE UND POTENZIAL

Umgangssprachlich bezeichnet eine Atempause eine kleine Verschnaufpause bzw. kurze Phase der Erholung im Alltag. Mit der hier vorgestellten Konkretisierung „Atempause im Alltag“ wird ein Entspannungsangebot beschrieben, das Übungen zur bewussten Atmung, positiven Körperwahrnehmung und -entspannung umfasst. Gerade eine gleichmäßige und tiefe Atmung kann zum Wohlbefinden entscheidend beitragen. Damit das Atmen leicht(er) fällt, sind eine geeignete Haltung bzw. Lagerung, ein entspannter Oberkörper, Schmerzfreiheit sowie ein vertrautes und beruhigend wirkendes Umfeld die Voraussetzungen.

Folgende inhaltliche Schwerpunkte der „Atempause im Alltag“ bieten sich z.B. an:

  • Atemübungen: bewusstes Ausatmen (tönend ausatmen und die Luft zurückströmen lassen, Ausatmung verlängern), Atmung rhythmisieren (in einem Zählrhythmus gleichmäßig aus- und wieder einatmen), dreistufige Atmung spüren (in den Bauch-, Brust- und Schlüsselbeinbereich atmen), …
  • Körperübungen: einzelne Körperteile im Wechsel an- und entspannen, leichte Dehn- und Drehübungen im Liegen, Sitzen oder Stehen, …
  • Nutzung spezifischer Materialien zur Entspannung: Wasserbett oder Hängematte für die Ruhephase, Massagekissen, App zur Achtsamkeit, Entspannungsmusik, …

Entspannungseffekte werden durch Rituale und Routinen unterstützt. Daher sollte die „Atempause im Alltag“ über einen längeren Zeitraum und regelmäßig durchgeführt werden. Ein Anfangs- und Schlussritual sowie immer wieder gleich oder ähnlich ausgeführte einzelne Übungen zur Atmung, Körperwahrnehmung und Achtsamkeit können den Teilnehmer_innen Orientierung geben und eine weitestgehend selbständige Ausführung der Übungen unterstützen.

Das Entspannungsangebot kann in einer kleinen Gruppe (3–4 Personen) durchgeführt werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Teilnehmer_innen eine ähnliche (ruhigere) Form der Entspannung bevorzugen. Für Beschäftigte mit hohem Bewegungsdrang und großer motorischer Unruhe sollten ggf. andere Entspannungsangebote, z.B. im Freien, organisiert werden. Um bei der Durchführung der Übungen individuell Unterstützung geben zu können und genau zu beobachten, ob sich die Übungen tatsächlich positiv auf das körperliche Wohlbefinden der Beschäftigten auswirken (oder eher Anspannungen verstärken), sollte das Angebot von mindestens zwei Mitarbeiter_innen gestaltet werden.

Das Entspannungsangebot „Atempause im Alltag“ kann auch in Kooperation mit weiteren Fachkräften, z.B. angeleitet durch eine_n Yogalehrer_in, durchgeführt werden.

IMPULSFRAGEN
  • Haben die Beschäftigten Vorerfahrungen mit Entspannungstechniken?
  • In welchen regelmäßigen Abständen kann das Angebot stattfinden?
  • Steht ein passender Raum für die „Atempause im Alltag“ zur Verfügung?
  • Wie können Personen im Rollstuhl am Entspannungsangebot partizipieren?
  • Wird ein Schwerpunkt für das Angebot gewählt (z.B. Atemübungen, Übungen im Sitzen)?
  • Welche Medien und welche Hilfsmittel werden benötigt (z.B. Matten, Keile, App mit Achtsamkeitsübungen, Musik)?
  • Welche alternativen Angebote zur Entspannung gibt es (z.B. Mittagsruhe, Spaziergang, Musik hören)?
DIFFERENZIERUNG
  • Materialien und Hilfsmittel einbeziehen (Massageball, verschiedene Kissen, Decken, angewärmtes Kirschkernkissen), um damit die Aufmerksamkeit auf einzelne Körperteile zu lenken
  • Druck und Berührung einzelner Körperteile von allen Seiten ermöglichen (z.B. mit Hilfe eines Frotteetuches, das Arm oder Fuß komplett einhüllt)
  • mit flächigem Händedruck die Körperteile berühren, in die der Atem fließen soll oder die an- und entspannt werden
  • Übungen barfuß durchführen
  • taktile Abwehr bei zu leichten und damit diffusen Berührungen oder Reizen berücksichtigen
  • deutliche, aber keine zu harten taktilen Akzente setzen
  • Matten oder Stühle im Halbkreis anordnen, um Blickkontakt zwischen der anleitenden Person und den anderen Teilnehmer_innen zu ermöglichen
  • bei Sehbeeinträchtigung:
    • akustische Signale nutzen, um z.B. bei Atemübungen die Phasen des Aus- und Einatmens zu verdeutlichen
    • ggf. größere und kontrastreiche Bilder der Übungen nutzen

Hörbeeinträchtigung

  • ggf. auf Musik verzichten oder diese sparsam einsetzen, um die Aufmerksamkeit auf die einfachen Anweisungen zu lenken
  • die Wahrnehmung von Vibrationen einbeziehen (z.B. Klangschalenmassage)
  • bei Hörbeeinträchtigung:
    • visuelle Akzente im Raum setzen, die Entspannung und Ruhe unterstützen (z.B. Pflanzen, ein Bild)
    • visuelle Signale (Lampen) statt Klänge wählen, um den Ablauf des Angebots zu strukturieren
    • Bildkarten zum Ablauf der einzelnen Übungen nutzen
  • ätherische Öle bei Massagen verwenden (Öle sparsam verwenden, dabei genau auf Geruchsvorlieben und -abneigungen achten)
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • freiwillige Teilnahme am Entspannungsangebot
  • auf individuelle Ausdrucksformen und Impulse reagieren, diese unterstützen und anregen
  • Wünsche und Anregungen der Teilnehmer_innen für die nächste „Atempause im Alltag“ aufnehmen
  • Übungen wiederholen, die sich die Teilnehmer_innen wünschen
  • Schwerpunkt des Angebots gemeinsam festlegen (z.B. Atemübungen, Körperübungen im Sitzen)
  • selbstbestimmte Pausen ermöglichen
  • den Raum für das Entspannungsangebot gemeinsam vorbereiten (z. B. Platz schaffen für Stühle und Matten, ggf. Duft auswählen, Kerze anzünden, Musik starten)
  • die Anleitung einzelner Phasen des Angebots an eine_n Teilnehmer_in übertragen
  • Abbruch des Angebots bzw. unregelmäßiges Erscheinen akzeptieren
  • individuelle Pausen und das Auslassen einzelner Übungen akzeptieren
  • eine ‚gemeinsame Sprache‘ in der Gruppe finden durch das gleichzeitige Ausführen der verschiedenen Übungen
  • den Ablauf des Entspannungsangebots sowie einzelner Übungen mit Bildern visualisieren
  • auf individuelle Formen der Kontaktaufnahme achten (z.B. Drehen zum Nachbarn, Aufnehmen von Blickkontakt, Beobachten von Bewegungsabläufen)
  • Austauschrunde am Ende etablieren, um Befinden, Wünsche und Vorlieben zu äußern
  • auf Anzeichen von Verspannung und Schmerzen achten
  • spezifisches Kälteempfinden, Geräuschs- und Geruchsempfindlichkeit beachten
  • den Freiraum schaffen, damit sich die Teilnehmer_innen bei Bedarf dem Angebot zeitweise entziehen können
  • zusätzliche individuelle Pausen oder eine nur phasenweise Teilnahme am Angebot ermöglichen
  • die „Atempause“ gemeinsam vorbereiten
  • das Kennenlernen verschiedener Atem- und Körperübungen unterstützen
  • individuelle Rückmeldungen geben über die Fortschritte beim Ausführen der Übungen, Bewegungen bestärken
  • Vertrauen in den eigenen Körper gewinnen z.B. durch das Erfahren von Eigenaktivität, Kraft, Ausdauer und Balance in den einzelnen Übungen
  • sich als Teil einer Gruppe erleben, die gemeinsam verschiedene Atem- und Körperübungen durchführt
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • die Matte
  • der Stuhl
  • das Kissen
  • die Decke
  • die Kerze
  • das Wasser
  • der Rücken
  • der Bauch
  • die Beine
  • die Füße
  • die Arme
  • die Hände
  • der Kopf
  • die Übung
  • entspannen,
  • einatmen
  • ausatmen
  • loslassen
  • trinken
  • barfuß
  • entspannt
  • zufrieden
  • unzufrieden
  • müde
  • fit
  • glücklich
  • erschöpft
  • traurig
  • wütend
  • IDas ist angenehm.
  • Das ist unangenehm.
  • Ich habe Schmerzen.
  • Ich mag das (nicht).
  • Ich brauche eine Pause.
  • Ich brauche Hilfe.
  • Stopp! Aua, das tut weh!
  • Ich mache das allein.
  • Ich brauche …
  • Ich möchte …
  • Das ist angenehm.
BEISPIELPLANUNG

Vor dem Angebot ist es sinnvoll, Vorlieben der Beschäftigten zur Entspannung zu erfragen. Außerdem hilft ein Austausch mit den behandelnden Physiotherapeut_innen, um die körperlichen Voraussetzungen der Teilnehmer_innen besser einschätzen zu können und ggf. spezifische Übungen zur körperlichen Entspannung auszuwählen. Mit Blick auf die Teilnehmer_innen wird festgelegt, wie lange die „Atempause im Alltag“ dauern soll (z.B. 30, 40 oder 50 Minuten).

Bei der ersten „Atempause im Alltag“ sollte ausreichend Zeit gelassen werden, um die spezifischen Gegenstände und Materialien kennenzulernen und auszuprobieren (z.B. Matte, Massagekissen, Musik, Duftauswahl).

Vor jeder „Atempause“ sollte der Raum gut durchlüftet sowie die Matten und Stühle im Halbkreis angeordnet werden. Während der Durchführung des Angebots ist dann auf eine angenehme Temperierung des Raums zu achten. Außerdem ist Zeit zum Umziehen einzuplanen (bequeme Kleidung, Schuhe ausziehen). Um die Teilnehmer_innen auf das Entspannungsangebot einzustellen, läuft während der Vorbereitungsphase eine angenehme Musik im Hintergrund.

Der gemeinsame Einstieg in die „Atempause im Alltag“ erfolgt ritualisiert: akustisches Signal (Glocke oder Klangschale), spezifisches Licht (Kerze, leicht gedimmtes Licht), ausgewählter Duft (Raumspray) und Begrüßung mit Geste (z. B. „Namaste!“).

Anschließend werden kurz die einzelnen Phasen des Angebots vorgestellt. Dabei kann das Programm flexibel an die Tagesform, Stimmung und Konzentration der Teilnehmer_innen angepasst werden.

Zunächst wird eine kleine Lockerungsübung zur Körperwahrnehmung durchgeführt (z.B. leichtes Abklopfen oder Umfassen von Armen, Beinen, Schultern – eigenaktiv oder durch Assistenz). Das Entspannungsangebot kann je nach den inhaltlichen Schwerpunkten in einzelne Phasen unterteilt werden (z.B. Atem- und Körperübungen sowie abschließende Ruhephase).

  1. Atemübungen: Ziel der Atemübungen ist es u.a. ein Bewusstsein für den Atemfluss im Körper zu entwickeln und eine allgemeine Entspannung zu unterstützen. Beispiele für Atemübungen sind:
    • ruhiges Ein- und Ausatmen in den Bauch-, Brust- und Schulterbereich im Sitzen oder im Liegen
    • langes tönendes Ausatmen (gerade beim langen Ausatmen kann das Heben und Senken des Bauchraumes wahrgenommen werden)
    • gleichmäßige Aus- und Einatmung im Rhythmus z.B. der Schritte oder eines Schlaginstruments (2, 3, 4 oder 5 Schritte lang ausatmen, 2, 3, 4, oder 5 Schritte einatmen)

Um eine angenehme Lagerung bzw. Position zu ermöglichen und so auch das freie Atmen zu unterstützen, werden diverse Hilfsmittel, z. B. Stuhl, Keil oder Matten, mit einbezogen.

  1. Körperübungen: Durch die Körperübungen können die einzelnen Körperbereiche intensiver aktiviert werden. Bei der Auswahl der Übungen sollte auf eine sinnvolle Abfolge geachtet werden (z.B. von Übungen im Stand bzw. Sitzen zum Liegen). Der/die anleitende Mitarbeiter_in zeigt die Übung vor und begleitet sprachlich die Durchführung der Übung durch die Teilnehmer_innen. Um eine Überforderung zu vermeiden, sollten nur ein oder zwei Übungen pro Stunde neu eingeführt werden. Beispiele für Körperübungen sind:
    • An- und Entspannen einzelner Körperteile (ggf. durch wechselnden Handdruck unterstützen)
    • Drehungen des Rumpfes, Kopfes, der Beine, Hände (im Stehen, Sitzen, Liegen)
    • Beugen und Strecken von Armen und Beinen im Stehen und Liegen
  1. Entspannungs-/Ruhephase: Im letzten Teil der Angebot ist es das Ziel eine Tiefenentspannung zu erreichen (z. B. durch Massage, entspanntes Liegen unter einer Decke, Achtsamkeitsübung). Dabei ist auf eine angenehme und stabile Lagerung der Teilnehmer_innen zu achten. Nach der Entspannungsphase sollte ein langsames Aufwecken und Ankommen zum Abschluss unterstützt werden, z. B. durch ein Berühren an den Füßen, langsames Aufrichten.

Das Angebot endet mit einem ritualisierten Abschluss. Dazu sammeln sich alle Teilnehmer_innen im Kreis und verabschieden sich z.B. mit dem Namaste-Gruß. Es wird wieder das Klangsignal vom Anfang genutzt, die Kerze gelöscht und das Licht wieder aufgehellt.

In einer sich anschließenden kurzen Gesprächsrunde können Gefühle, Stimmungen, die veränderte Körperwahrnehmung und Wünsche für die nächste „Atempause im Alltag“ thematisiert werden.