Historischer Stadtrundgang

KONKRETISIERUNG   ·  Historischer Stadtrundgang

 

SACHASPEKTE UND POTENTIAL

Mit einem historischen Stadtrundgang kann am Hier und Jetzt der Teilnehmer_innen angeknüpft werden: Der aktuelle und lokale Einstiegsort bietet die Möglichkeit vom Bekannten ins Unbekannte vorzudringen und im vertrauten Umfeld die Spuren vergangener Wirklichkeit zu entdecken.

Der historische Stadtrundgang kann sich dabei auf ein bestimmtes Themenfeld (z.B. Wohnorte, Repräsentationsbauten, Religion, Arbeit, Handel) oder eine ausgewählte Epoche (z.B. Mittelalter, 19. Jahrhundert) beziehen. Der Stadtrundgang kann als Rahmen für eine wiederholte historische Auseinandersetzung genutzt werden. So können ganz unterschiedliche Fragen an die Vergangenheit thematisiert werden.

Folgende inhaltliche Schwerpunkte des Angebots bieten sich während oder nach dem historischen Stadtrundgang an:

  • historische Rätsel lösen – was könnte hier früher passiert sein?
  • pro Stadtrundgang jeweils einen thematischen Schwerpunkt setzen (z.B. Orte der Arbeit, zentrale Bauten der Stadt aufsuchen)
  • bauliche Überreste vergangener Epochen besichtigen (z.B. Ausgrabungen, Befestigungsanlagen)
  • sich mit Legenden, historischen Berichten usw. auseinandersetzen und die diesbezüglichen Orte aufsuchen (ggf. vor Ort die Legende mehrsinnlich vortragen)
  • Heimatgeschichte(n) szenisch umsetzen (Ereignisse nachspielen, Standbilder aufstellen, historische Gewänder anprobieren, Werkzeuge und Waffen ausprobieren)
  • eigene Imaginationen zur vergangenen Wirklichkeit aufschreiben bzw. diktieren (Text, Bilder- oder Fotogeschichte erstellen)
  • Orte des Stadtspaziergangs zum Anlass nehmen für die Auseinandersetzung mit weiteren (historischen) Themen, die von Interesse sind

Es lohnt sich, während des Stadtrundganges auch immer wieder Bezüge zur Gegenwart und konkret zum Leben der Teilnehmer_innen herzustellen (z.B. Anknüpfen an alltägliche Handlungen wie Einkaufen).

IMPULSFRAGEN

Welches Interesse und welche Vorstellungen in Bezug auf historische Ereignisse und Personen bestehen bei den Beschäftigten?

Welche sinnlichen Erfahrungen können auf dem Stadtrundgang gemacht werden?

Wie kann von der vergangenen Wirklichkeit erzählt werden, so dass es von den Beschäftigten verstanden werden kann?

Welche Quellen und Reproduktionen sollten einbezogen werden?

Welche Bezüge zur Gegenwart können an den verschiedenen Stationen des historischen Stadt- bzw. Ortsrundgangs eröffnet werden?

Welche Kooperationen mit weiteren Institutionen bieten sich an (z.B. Stadtmuseum, Tourismusinformation)?

DIFFERENZIERUNG
  • ggf. eine unterschiedliche Körperspannung an den verschiedenen Orten und in alten Räumlichkeiten bewusst machen (die körperliche Spannung noch kurz verstärken und dann versuchen zu lösen, z.B. durch gemeinsames tiefes Ausatmen, Lockerung der Arm- und Beinmuskulatur)
  • Körperspannung ggf. als emotionales Erleben erklären und deuten („Ich merke, Sie sind angespannt. Vielleicht liegt das an …“)
  • mit Hilfe von Handführung die verschiedenen Sachquellen erkunden
  • deutliche Kontraste bei taktilen Erfahrungen ermöglichen (z.B. eine raue kalte Steinmauer im Gegensatz zur Wand in der Einrichtung, Holzteller statt Porzellan- oder Plastikgefäße)
  • Sach- und Bildquellen bzw. Rekonstruktionen ins Blickfeld rücken
  • Quelle(n) in Ausschnitten betrachten bzw. sukzessive aufdecken
  • Bilder mit klaren Umrissen oder starken Kontrasten nutzen, Bilder vergrößern
  • die unterschiedlichen Lichtverhältnisse z.B. auf der Straße, in einer Kirche, in einem Kreuzgang berücksichtigen, ggf. Details mit der Taschenlampe ausleuchten, Blendung vermeiden
  • vielfältige haptische Erfahrungsmöglichkeiten schaffen, die einen deutlichen Bezug zum Thema des Stadtrundgangs haben (z.B. Handwerkszeug, Waffen) und diese Sachquellen genau beschreiben
  • akustische Signale (z.B. Fanfare, Glockengeläut), Musikquellen, Tonmitschnitte einbeziehen
  • auf Vibration und Nachhall in hohen Räumen aufmerksam machen, ggf. ankündigen
  • Verstärker, Audioguides einsetzen
  • beim Zuhören auf eine bequeme Position und körpereigene Signale der Aufmerksamkeit achten (z.B. Kopfhaltung, körperliche An- oder Entspannung)
  • Geschichten zur Vergangenheit eines Ortes in ruhigen, nicht hallenden Räumen erzählen
  • verstärkt Sach-, Bild- und Filmquellen einsetzen
  • auf Zeichen des Unwohlseins und der körperlichen Anspannung aufgrund von (Straßen-)Lärm achten
  • Gerüche einbeziehen, um die Vergangenheit eines Ortes zu imaginieren (z.B. Gewürze, Kräuter, Kaffee, Fisch, Fleisch, Leder)
  • Geschmackssinn berücksichtigen (z.B. Kostproben typischer Gerichte oder Nahrungsmittel einer Epoche anbieten)
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • Vorlieben und Vorerfahrungen der Beschäftigten wahrnehmen bzw. vermuten, erfragen und mit aufgreifen (z.B. Gibt es bestimmte historische Personen, Epochen, Orte, die von besonderem Interesse sind?)
  • Teilnehmer_innen am Geschichtsangebot das spezifische Thema des Stadtrundgangs (mit) auswählen lassen
  • Möglichkeiten zur weiteren eigenen Recherche und Auseinandersetzung eröffnen (z.B. im Internet recherchieren, Filme, Bilder und Bücher bereitstellen), Rundgang noch einmal abgehen bzw. -fahren
  • freiwillige Teilnahme am Angebot ermöglichen
  • Ideen der Beschäftigten zur weiteren Auseinandersetzung mit dem historischen Stadtrundgang aufgreifen bzw. bei der Auswahl mit einbeziehen (z.B. Szenen zu historischen Ereignissen nachspielen, Plakat mit Früher-Heute-Fotos erstellen)
  • Ablehnung oder geringes Interesse gegenüber Angeboten zur Geschichte bzw. Abbruch des Angebots akzeptieren
  • ‚kritische Themen‘ (z.B. Hexenverbrennung, Euthanasie, Krieg) nicht von vornherein ausblenden
  • Lebenserfahrungen der Teilnehmer_innen berücksichtigen, sie als Zeitzeugen mit einbeziehen (z.B. bei der Beschreibung von ihnen bekannten Orten und Ereignissen)
  • Zeit einräumen zur genauen Auseinandersetzung mit Quellen sowie zum Austausch über Vorstellungen von der vergangenen Wirklichkeit zu zweit oder in der Gruppe
  • unter den Mitarbeiter_innen wechselnde Expert_innen für einzelne Stationen des Stadtrundgangs bestimmen; diese leiten die vertiefende Auseinandersetzung an
  • individuell passend, multimodal von vergangenen Ereignissen erzählen
  • Besonderheiten in der Wahrnehmung beachten (z.B. ruhige Orte aufsuchen; dabei unterstützen, die Aufmerksamkeit auf eine Sache zu richten)
  • sensibel mit Ängsten umgehen bzgl. einzelner Themen (z.B. Krieg, Vertreibung, Folter)
  • Pausen einplanen, Positionswechsel ermöglichen, ggf. schnelles Frieren berücksichtigen
  • vorzeitigen Abbruch bzw. kürzere Runde des Stadtrundgangs ermöglichen
  • den Austausch über ein historisches Thema als positive soziale Situation gestalten
  • das multisensorische Wahrnehmen von Geschichte(n) unterstützen
  • Bezüge herstellen zur Gegenwart durch Früher-Heute-Vergleiche
  • das Erzählen von Geschichte(n) zu Personen, Orten, Ereignissen z.B. anhand von Bildern oder mit Hilfe von Apps, elektronischen Kommunikationshilfen usw. ermöglichen
  • sich selbst als Experte für ein historisches Thema erleben (z.B. Zeitzeuge sein, ein Thema präsentieren)
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • die Zeit
  • das Jahr
  • die Geschichte
  • die Stadtmauer
  • der Markt
  • das Wohnhaus
  • die Kirche
  • der Brunnen
  • das Schloss
  • das Handwerk
  • leben
  • wohnen
  • erzählen
  • kämpfen
  • alt
  • neu
  • leise
  • hoch
  • niedrig
  • arm
  • reich
  • damals, früher und heute
  • Das interessiert mich.
  • Das ist spannend.
  • Ich möchte weitergehen.
  • Stopp!
  • vor langer Zeit…
BEISPIELPLANUNG

Im Vorfeld des historischen Stadtrundgangs wird das Angebot den Beschäftigten vorgestellt, um ihre spezifischen Interessen und Fragen bei der Planung des Rundgangs mit berücksichtigen zu können.

Es ist notwendig den geplanten Stadtrundgang vorher abzugehen und hinsichtlich diverser Anforderungen zu überprüfen (z.B. Eignung der Stationen für den gewählten thematischen Schwerpunkt, Barrierefreiheit, Länge des Weges). Außerdem sollte eine Auswahl an Sach- und Bildquellen bzw. Reproduktionen getroffen und Ideen für ein eindrückliches multimodales Vortragen und Erzählen an den einzelnen Stationen gesammelt werden. Das Potential der einzelnen Stationen des Stadtrundgangs sollte hinsichtlich des Imaginierens von vergangener Wirklichkeit reflektiert werden.

Unter den Mitarbeiter_innen ist zu klären, wie der Stadtrundgang gemeinsam und für die Beschäftigten individuell passend umgesetzt werden kann (z.B. wer welche Person begleitet, welchen Rollstuhl schiebt, ggf. eher zurückgeht).

Der Beginn des Stadtrundgangs wird so gestaltet, dass erste Fremdheitserfahrungen möglich werden, z.B. durch ein musikalisches Signal, die historische Kleidung des Stadtführers oder eine besonders stimmungsvoll vorgetragene Begrüßung. Es wird anhand von Bildern, die dann wieder bei den einzelnen Stationen auftauchen werden, der Rundgang kurz vorgestellt.

Im Folgenden werden mögliche Stationen eines historischen Stadtrundganges zum Thema „Alltag vor 100 Jahren“ vorgestellt:

  1. Marktplatz
    • verschiedene Gerüche und Geschmacksproben der verschiedenen früheren Marktstände einbeziehen (Was gibt es heute im Gegensatz dazu auf dem Markt zu kaufen?)
    • einen Dialog zwischen Marktfrau und Kunde vorspielen bzw. spielen lassen, mit altem Geld bezahlen
    • sich Bilder anschauen, wie der Marktplatz früher aussah, deutlich machen, welche Häuser schon standen und welche nicht (ggf. besondere Hinweise wahrnehmen, Denkmalschutz usw.)
  1. Rathaus
    • Bilder von Bürgermeister_innen anschauen (die Amtskette wahrnehmen, sich eine Reproduktion davon anschauen), Vermutungen über frühere und heutige Aufgaben des Bürgermeisters anstellen und es sich anschließend berichten lassen
    • verschiedene Kleidung wahrnehmen, ggf. einzelne Kleidungsstücke und Gebrauchsgegenstände von vor 100 Jahren ausprobieren (Hut, Spazierstock, Schreibfeder und –pult)
  1. Kirche
    • den hohen kühlen Raum wirken lassen, Musik erklingen lassen
    • die alten Gemälde an den Wänden betrachten und ggf. daneben aktuelle Fotos zeigen, um Unterschiede in der Darstellungsweise zu verdeutlichen (z.B. Mutter und Kind-Darstellungen)
    • Grabstellen auf dem Friedhof finden, die auf die Zeit vor 100 Jahren verweisen (z.B. auch Gedenkstein für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges)
  1. Hauptstraße
    • erst den lauten Straßenverkehr auf sich wirken lassen und dann an einem ruhigeren Ort sich einen Film oder Bilder über die Hauptstraße vor 100 Jahren ansehen (Welche Fahrzeuge gab es vor 100 Jahren, welche heute?)
    • Läden und Dienstleistungsgeschäfte kennenlernen, die typisch für die damalige Zeit sind (z.B. Kolonialwarenladen, Schneider)
    • Bilder und Symbole an Geschäften wahrnehmen und fotografieren; später in der Einrichtung aufarbeiten, wie die Handwerke früher und heute ausgeübt wurden

Während des Angebots sollte mindestens eine Pause in einem Gebäude eingeplant werden, damit die Teilnehmer_innen z.B. etwas essen und trinken und sich aufwärmen können.

Mit der Zeitfenster-App können ggf. schnell Bilder von früher an den verschiedenen Stationen abgerufen werden.

An der letzten Station findet der Stadtrundgang seinen Abschluss durch ein ebenso deutliches Signal wie am Anfang. Die Teilnehmer_innen erhalten einen Gegenstand oder ein Bild, das an diesen Rundgang erinnert und zum Thema passt (z.B. ein kleines Stück Kernseife vom Markt, etwas Kaffee aus dem Kolonialwarenladen, eine Reproduktion von der Hauptstraße vor 100 Jahren). Es findet ein kurzer Austausch über den Stadtrundgang statt (z.B. was gefallen hat, was interessant oder eher langweilig war)

Im ‚Nachgang‘ können in der Einrichtung noch Fotos vom Stadtrundgang ausgewählt und aufgehängt werden, weitere Recherchen oder eine gestalterische Auseinandersetzung zu einer der Stationen durchgeführt werden. Auch ein Museumsbesuch könnte sich anschließen, um einzelne Aspekte zu vertiefen (z.B. Leben der Bauern, Krieg, Kleidung).