Tanz & Theater

PROFIL

Sich auf Bewegungen zur Musik einlassen, allein oder gemeinsam, etwas darstellen, im Spiel jemand anderes sein können – kulturelle Angebote mit dem Schwerpunkt Tanzen oder Theaterspielen bieten die Möglichkeit, aus dem Alltag herauszutreten und sich in neuen Rollen zu erfahren.

Sich ausdrücken, etwas darstellen

Für das Tanzen ist der Bezug zur Musik maßgeblich, um eigene Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten zu erleben. Tanzen wird durch Rhythmus, Tempo und Dynamik der Musik bestimmt. Durch Beschleunigung, Gleichmaß, Verlangsamung oder auch Stillstand von Bewegungen können unterschiedliche Körpererfahrungen gemacht werden.

Für das Theaterspielen ist das Zusammenwirken von Sprache (nonverbal oder verbal), Bewegungen und einem gestalteten Umfeld (z. B. Requisiten, Licht, Kostüme) kennzeichnend. Theaterspielen ermöglicht ein spielerisches Hineinversetzen in neue Situationen und Personen und ein Ausprobieren verschiedener Charaktere und Gefühle. Durch die unterschiedlichen Themen und Situationen beim Theaterspielen können neue Erfahrungen gesammelt und verschiedene Lebensbereiche genauer betrachtet werden. Bei der Durchführung von Theaterangeboten mit Menschen mit schwerer Behinderung bietet es sich an, Methoden des basalen Theaters mit einzubeziehen. (Vgl. die Ideen des Basalen Theaters (Bertrand & Stratmann 2002) oder des Erlebnistheaters SinnFlut (Offermanns & Suilmann 2003)). Basales Theater ermöglicht eine multisensorische Auseinandersetzung mit Inhalten, Aussagen und Stimmungen von Geschichten, z. B. durch unterschiedliche Materialien, Musik und Lichteffekte und den Einbezug nonverbaler Wege der Kommunikation.

Tanz- und Theaterangebote regen eine individuelle Auseinandersetzung mit Musik und verschiedenen Themen an und eröffnen einen geschützten Raum, um das eigene Bewegungs- und Handlungsrepertoire zu erweitern. Besonders wichtig ist es dabei, Zeit für Wiederholung und zum Ausprobieren zu lassen, damit bestimmte Bewegungsmuster vertraut und sicher abgerufen und auch kleine Szenen oder Theaterstücke einstudiert werden können.

Tanz und Theater als soziale Praxis

Neben vielfältigen Körper-, Raum- und Materialerfahrungen ermöglichen Tanz- und Theaterangebote immer auch sehr unterschiedliche soziale Erfahrungen. Tanzen und Theaterspielen fordern es heraus, auf andere Personen einzugehen und in Beziehungen zu treten, sei es angeregt durch die gemeinsame Stimmung auf einer Tanzfläche, beim Paartanzen, beim Durchführen einfacher Tanzfiguren und -formationen in der Gruppe, beim Proben kleiner Szenen oder größerer Theaterproduktionen.

Insbesondere Theaterangebote sind auf das gemeinsame Wirken einer Gruppe angewiesen, sowohl im Ensemble der Mitspieler_innen als auch bei der Zusammenarbeit im ‚Backstage-Bereich‘, um z. B. Kostüme oder das Bühnenbild herzustellen, beim Umbau der Bühne oder beim Einlass zu helfen.

Das Üben von Tänzen oder das spielerische Darstellen von Szenen im Rahmen von Tanz- und Theaterangeboten kann allein der Erweiterung individueller Erfahrungen und der Unterhaltung dienen. Es bietet sich jedoch auch an, die einstudierten kleinen Szenen und Theaterstücke vor einem Publikum zu präsentieren. Aufführungen eröffnen die Chance, dass Menschen mit schwerer Behinderung als Kulturschaffende in Erscheinung treten. Das Erleben von Aufführungen als Teil eines Ensembles oder vor Publikum stellt eine ganz besondere Gruppenerfahrung dar und eröffnet Möglichkeiten, sich selbst als kompetent zu erfahren.

Angebote im Bereich „Tanz und Theater“ beziehen sich sowohl auf eigene darstellerische Umsetzungen als auch auf das Kennenlernen von Aufführungen anderer. Aktivitäten bei Tanz- und Theaterangeboten können unterteilt werden in aktive, rezeptive und reflexive Prozesse. → weiterführende Materialien

Insgesamt sind Tanz und Theater mit anderen künstlerisch-ästhetischen Bereichen wie Musik, Literatur und künstlerische Gestaltung eng verbunden.

THEMENSPEKTRUM

Die folgenden exemplarischen inhaltlichen Impulse sollen die Breite des Themenspektrums herausstellen. Sie beziehen sich sowohl auf Mitarbeiter als auch auf Beschäftigte.

  • im Liegen, Sitzen oder Stehen den eigenen Atem, Herzschlag, einzelne Körperteile oder Muskelverspannungen wahrnehmen (z. B. durch das Auflegen einer Hand auf den Brustkorb, das Abklopfen von Körperteilen)
  • Atemübungen durchführen (z. B. tief einatmen und stimmhaft und lang ausatmen)
  • einzelne Körperteile bewegen oder bewegt werden, abklopfen, schwingen, lockern
  • verschiedene Posen bzw. Haltungen einnehmen: sich dehnen, eine aufrechte Haltung im Sitzen oder Stehen einnehmen
  • Schwungübungen mit den Armen durchführen (z. B. beide Arme parallel bewegen oder Arme jeweils seitwärts auf- und abschwingen, Wellenbewegungen mit den Armen machen)
  • Stand- und Spielbein bewusst erfahren, mit dem Spielbein verschiedene Bewegungen ausführen (z. B. kreisen, strecken, vor- und zurückschwingen)
  • sich zur Musik bewegen oder bewegt werden, beim Stoppen der Musik in der Bewegung verharren (Freeze)
  • bewegungsunterstützende Geräte nutzen (Schaukel, Schaukelstuhl, großer Ball, Rollstuhl, Schwungtuch)
  • Schlaginstrumente nutzen (z. B. Klanghölzer, Bongo, Schellentrommel), um rhythmische Bewegungen zu unterstützen
  • Accessoires beim freien Tanzen und kleinen Choreografien mit einbeziehen (z. B. Holzstöcke, Fahnen, Tücher, Cheerleader-Poms, Regenschirme, Fächer, Hüte, Kastagnetten)
  • barfuß tanzen oder spezielle Schuhe zum Tanzen nutzen (z. B. Gymnastikschuhe, Schuhe mit Absatz, leichte Halbschuhe)
  • zur Musik im Rollstuhl bewegt werden bzw. den Rollstuhl selbst bewegen (z. B. vorwärts und rückwärts fahren, drehen, kippen)
  • Handbewegungen einbeziehen, ggf. Requisiten wie Bänder und Tücher nutzen
  • Rollstuhlpaartanz (Läufer_in und Fahrer_in): sich zu zweit frei zur Musik bewegen, verschiedene Tänze und Tanzrhythmen kennenlernen und einstudieren
  • in Formationen tanzen, sich synchron bewegen bzw. bewegt werden, Choreografien tanzen
  • durch Veränderung der Sprache, des Raums, des Lichts unterschiedliche Szenen erleben, ggf. Kostüme und Musik einbeziehen
  • Sprech- und Stimmübungen durchführen (Atemübungen, Übungen zur Kräftigung der Stimme, zur deutlichen Aussprache bzw. zum deutlich sichtbaren Gebärden, die eigene Stimme in großen Räumen erleben, jemanden etwas zurufen)
  • Räume unterschiedlich ‚bespielen‘:
    • verschiedene Positionen einnehmen
    • auf ein Signal hin Bewegungen ändern
    • charakteristische Bewegungsformen erproben (z. B. sich wie ein Roboter, eine Marionette, in Zeitlupe bewegen)
  • Partnerübungen durchführen:
    • führen und folgen (z. B. Gesten bzw. Bewegungen von Person zu Person weitergeben, Spiegelübungen durchführen)
    • vor- und nachmachen von Gesten, Mimik und Bewegungen
    • Spiegelübungen (synchrones Bewegen)
    • ‚Marionettenspiel‘ (eine Person handelt als Marionette, die andere als Puppenspieler)
  • Gestik, Mimik und Körperhaltung von Abbildungen nachmachen
  • Vertrauensübungen durchführen (z. B. Vertrauenskreis, sich blind führen lassen)
  • unterschiedliche Gefühle mimisch und gestisch darstellen (z.B. Freude, Traurigkeit, Angst), ggf. fotografieren und unterschiedliche Darstellungsweisen aufzeigen
  • verschiedene Personen spielen (z. B. alten Menschen, kranke Person, Rockstar) oder Tiere nachahmen
  • Übungen zum Aufbau von Körperspannung und Bühnenpräsenz (Auf- und Abgang auf eine Bühne, lautes Sprechen, im Mittelpunkt bzw. Scheinwerferlicht stehen, sitzen oder liegen)
  • mit Schminke, Masken und Kostümen experimentieren und Veränderungen der eigenen Person wahrnehmen
  • Schminke nutzen, um sich besser in eine Rolle einzufinden
  • Masken aus Gips, Pappe, Holz usw. bauen und nutzen, um z. B. eine anonyme Menschenmenge bzw. einen Chor oder unterschiedliche Gefühlsausdrücke zu verdeutlichen
  • Musik, Klänge, Geräusche einbeziehen (live gespielt oder technisch wiedergegeben)
  • Bühnenbilder gestalten (z. B. Farben auswählen, die zu einer bestimmten Stimmung oder Situation passen)
  • Licht einbeziehen und unterschiedliche Wirkung kennenlernen (z. B. Scheinwerfer, Lichterketten, unterschiedliche Lampen, farbiges Licht, Taschenlampen bzw. Handydisplays, Schwarzlicht; Licht unterschiedlich dimmen)
  • Kostüme (durch das Verkleiden das Einfühlen in verschiedene Personen unterstützen, passende Kostüme zu Rollen auswählen und ggf. mit Unterstützung anfertigen)
  • Ton- und Videotechnik einbeziehen (z. B. Szenenbild mit Beamer erzeugen, Musikstücke, Ton- und Sprachaufnahmen einbeziehen)
  • Special Effects erzeugen durch fluoreszierende Materialien (z. B. Neonluftballons), Spiegel, Rettungsdecken, große Seifenblasen usw.
  • einen Fundus anlegen
  • Basales Theater: mit Tüchern, Düften, Sound- und Lichteffekten, umgebauten Rollbrettern u. Ä. Erlebniswelten schaffen und verschiedene Themen und Textinhalte multisensorisch erfahrbar machen
  • Marionetten-, Puppentheater (Handpuppen herstellen und mit ihnen spielen)
  • Scherenschnitttheater
  • Pantomime

Literatur

Bertrand, A./ Stratmann, E. (2002): Basales Theater im Unterricht. Schüler mit schweren Behinderungen stehen im Rampenlicht. Dortmund: Verlag modernes Lernen.

Offermanns, B./ Suilmann, D. (2003): Bildung erleben! Das Erlebnistheater SinnFlut. In: Lamers, W./ Klauß, Th. (Hg.) …alle Kinder alles lehren! –Aber wie?. Theoriegeleitete Praxis bei schwer- und mehrfachbehinderten Menschen. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, S. 187-202.

Icon für Materialien

(weiterführende) MATERIALIEN

Bertolaso, Y. (Hg.) (2001): Musik-, Kunst- und Tanztherapie. Qualitätsanforderungen in den künstlerischen Therapien. Münster: Paroli (Pädagogik und Therapie, 11).
Castillo, A. F. (1999): Vom klassischen zum zeitgenössischen Theater, vom Theater der Behinderten zum professionellen Theater. In: Ruping, B. (Hg.): Theater, Trotz; Therapie. Ein Lies- und Werkbuch des Theaterpädagogischen Zentrums der Emsländischen Landschaft e.V. und des Studiengangs Theaterpädagogik der Fachhochschule Osnabrück, Standort Lingen. Sögel: Emsländische Landschaft für die Landkreise Emsland und Grafschaft Bentheim, S. 155-168.
Dinold, M. (2000): Tanz und kreative Bewegung als lebenslange Entwicklungsförderung für Menschen mit und ohne Behinderung. Ein Beitrag zur Integrationsforschung in der Bewegungs- und Sportpädagogik – Entwicklungsförderung zwischen Pädagogik und Therapie. Universität Wien (Dissertation).
Dinold, M. (2015): Kreative Bewegung, Körpererfahrung und Tanz. In: Handbuch Behinderung und Sport. Schorndorf: hofmann, S. 376-386.
Fallak, W. (1988): Tanzen mit Behinderten. Bausteine für elementare Tanzerfahrung. Dortmund: verlag modernes lernen.
Grütjen, A.; Wache, A. (1999): SinnFlut – Erlebnistheater für Menschen mit schwerster Behinderung. In: I. Bielenberg (Hg.): Eigen-Sinn & Eigen-Art. Kulturarbeit von und mit Menschen mit Behinderung. Unter Mitarbeit von U. Baer. Remscheid: BKJ (Schriftenreihe der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Bd. 48), S. 131-134.
Lehmkuhle, J. (2007): Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung durch Bewegung und Tanz. Münster: Waxmann.
Müller, A.; Schubert, J. (Hg.) (2007): SHOW UP! Beiträge zur künstlerischen Aus- und Fortbildung geistig beeinträchtigter Menschen. Eine Publikation von EURECA Deutschland e. V., Norderstedt: Books on Demand GmbH.
Probst, W.; Vogel-Steinmann, B. (1978): Musik, Tanz und Rhythmik mit Behinderten (Dortmunder Beiträge zur Musik in der Sonderpädagogik).
Rebel G. (2011): Biografiearbeit mit Bewegung und Tanz – Der Körper erinnert sich. In: Hölzle, Ch.; Jansen, I. (Hg.): Ressourcenorientierte Biografiearbeit. Grundlagen – Zielgruppen – kreative Methoden. 2., durchges. Aufl. Wiesbaden: VS-Verl. (Lehrbuch), S. 223-235.
Reuter, G.; Theis, G. (Hg.) (1997): Spielräume, Spaßräume, Lernräume. Theaterpädagogische Anregungen – nicht nur für SonderpädagogInnen. Dortmund: modernes lernen.
Sahm, B. (2011): Tanzen, Musizieren, Theater spielen. Spielideen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Weinheim, München: Juventa-Verl. (Edition sozial).
Schryer, D. de (2019): Darf ich um den Tanz bitten? In: Mohr, L.; Zündel, M.; Fröhlich, A. (Hg.): Basale Stimulation. Das Handbuch. 1. Auflage. Bern: Hogrefe, S. 383-391.
Stollberg, U. (2000): Basales Theater. Ein Theaterprojekt von und mit Schülerinnen mit schwersten Mehrfachbehinderungen. In: lernen konkret, (3), S. 23-26.
Theater Thikwa; Lohrenscheit, C. (Hg.) (2018): Theater. Rebellion. Die Ausweitung der Kunstzone. Theater Thikwa. Oberhausen: Athena.