Künstlerisches Gestalten

PROFIL

Papier bedrucken, Drahtskulpturen herstellen, mit Verpackungsmaterialien experimentieren, sie dabei in eine Form bringen und ihnen auf diese Weise eine neue Bedeutung verleihen – so vielfältig können Aktivitäten im Bereich der künstlerischen Gestaltung sein. Auch das Wahrnehmen verschiedener Farben und Formen von Altglasgegenständen, das genaue Betrachten von Wanddekorationen oder der Austausch über gestalterische Arbeiten und Kunstwerke gehören zur künstlerisch-ästhetischen Praxis. 

Potenzial: Kreativität, Identität und Beziehung

Künstlerische Gestaltung eröffnet ästhetische Wege der Selbst- und Welterkundung. Sie leistet einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung individueller Ausdrucks- und Kommunikationsformen:

„Durch bildnerisches Gestalten bietet sich die Möglichkeit eines nonverbalen Ausdrucks von Gefühlen, Bedürfnissen, Wünschen, Eindrücken oder Erlebnissen. Ein authentischer, unmittelbarer Ausdruck mit Hilfe kreativer Medien trägt des Weiteren wesentlich zur Persönlichkeitsentwicklung, Entspannung und Lebensfreude bei.“ (Grevel & Rios 2016, S. 168)

Angebote im Bereich der künstlerischen Gestaltung für Menschen mit schwerer Behinderung sollten dazu einladen, in Beziehung zu gehen – mit verschiedenen Materialien, künstlerischen Arbeiten sowie anderen Personen während des Gestaltungsprozesses oder im Anschluss. Denn durch kreative Interaktionen kann ohne Zwang das individuelle Ideen- und Handlungsspektrum erweitert werden (vgl. Schuppener & Schlichting 2016, S. 27). Dafür bedarf es einer anregenden Umgebung und vielfältigen (Beziehungs-)Angeboten. Um dieses Potenzial für die Identitäts- und Beziehungsentwicklung ausschöpfen zu können, sollten künstlerische Angebote mehr umfassen als saisonale Arbeiten wie das Gestalten von Adventsschmuck und Sommerfestdekorationen.

Bei Angeboten zur künstlerischen Gestaltung geht es nicht in erster Linie um die gesellschaftliche Anerkennung einer künstlerischen Leistung oder eines bestimmten Produkts. Das Präsentieren und Ausstellen gestalterischer Arbeiten (auch außerhalb der Einrichtung) bietet jedoch Chancen, die soziale und kulturelle Teilhabe von Menschen mit schwerer Behinderung zu stärken.

Künstlerische Gestaltung – vielfältig und vielschichtig

Künstlerische Gestaltung bezieht sich sowohl auf das eigene gestalterische Handeln und kreative Tätigwerden als auch auf kommunikative und reflektierende Prozesse im Umgang mit (eigenen oder fremden) künstlerischen Produkten. Allgemein kann man künstlerisches Gestalten in drei Aktivitäten fassen: aktive Prozesse, rezeptive Prozesse und reflexive Prozesse. → Materialien

Die Lust am künstlerisch-kreativen Gestalten kann nicht ‚verordnet‘, sondern nur durch vielfältige Materialien, Ausdrucks- und Gestaltungsmöglichkeiten sowie unterschiedliche thematische Anregungen unterstützt werden. Wichtig ist es dabei, dass (Frei-)Räume bzw. aktivierende Umgebungen und ausreichend Zeit zum ergebnisoffenen Experimentieren zur Verfügung stehen.

THEMENSPEKTRUM

Die folgenden exemplarischen inhaltlichen Impulse sollen die Breite des Themenspektrums herausstellen. Sie beziehen sich sowohl auf Mitarbeiter als auch auf Beschäftigte.

z. B. Federn, Muscheln, Blätter, Fell, Waldfrüchte, Sand

  • thematische Gestaltungsarbeiten zu verschiedenen Naturräumen (Meer, Wald, Wüste, …)
  • Land-Art-Projekte durchführen (z. B. im Park, an einem See)
  • Windspiele bauen
  • Sandbilder herstellen
  • mit Blättern und Früchten drucken
  • Mandalas mit verschiedenen Naturmaterialien legen

z. B. Zeichen-, Pack-, Bunt-, Seiden-, Zeitungs-, Aquarell-, Transparentpapier, Tonkarton, Vollpappe

  • Mal- und Zeichenarbeiten (ggf. nach Vorlage): Farbstudien, Gestaltung eines Bildtagebuches, Stillleben, Landschaftsbilder, Porträtzeichnungen
  • Druckarbeiten: Stempeldruck, Siebdruck, Monotypie
  • Falt- und Flechtarbeiten: Origami, Falt- und Knüllpapier-Bilder, Flechtbilder, Papierreliefs
  • Papierschmuck aus gerolltem Papier und Papierobjekte herstellen (z. B. Wabenbälle und -lampen aus Seiden- oder Transparentpapier)
  • Papier schöpfen und marmorieren

z. B. Holzwolle, div. Holzsorten, Baumrinde

  • Holzskulpturen/-figuren herstellen, Holzmosaik gestalten, Arbeiten mit der Stichsäge
  • Holzmöbel verschönern (Rahmen, Kommoden, …)
  • Holzscheiben, -äste, -stämme bearbeiten (z. B. anmalen, bedrucken, bekleben)
  • Mobile herstellen
  • verschiedene Körper und Körperteile, einfache Formen (z. B. Kugel, Platte, Kreis, Tonschlange) modellieren oder ausstechen
  • Schmuck (Anhänger, Ketten, Ohrringe) herstellen
  • Fliesen gestalten

z. B. Speckstein, Sandstein, Metallprägefolie, Aluminiumfolie, Draht

  • Plastiken aus Sand- oder Speckstein anfertigen
  • (Deko-)Steine anmalen
  • Drahtskulpturen, Figuren aus Alufolie formen
  • Anhänger und Tischschmuck mit Metallprägefolie herstellen
  • Alltagsgegenstände verzieren
  • Mosaikgestaltung (z. B. Mosaiktisch, -bilder, -teller), Porzellan bemalen
  • Arbeiten mit Wachs (z. B. Enkaustik, Kerzen verzieren)
  • Maskenbau, Skulpturen aus Gips, Wattebilder herstellen
  • Collagen anfertigen
  • Perlenschmuck gestalten, Glasmalerei
  • Installationen anfertigen

Literatur

Grevel, B.; Garcia Rios, S. (2016): Kreativitäts- und Identitätsentwicklung – Wege und Methoden für Menschen mit Komplexer Behinderung im Atelier Freistil. In N. Maier-Michalitsch; G. Grunick, (Hg.): Aktivität und Kreativität bei Menschen mit Komplexer Behinderung. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, 162-169.

Schuppener, S.; Schlichting, H. (2016): Identität und Kreativität von Menschen mit Komplexer Behinderung. In: Maier-Michalitsch, N.; Grunick, G. (Hg.): Leben pur – Aktivität und Kreativität bei Menschen mit Komplexer Behinderung. Düsseldorf: Verlag Selbstbestimmtes Leben. 2016. S. 18-32

Icon für Materialien

(weiterführende) MATERIALIEN

Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung (Hg.) (1999): EigenSinn/ Eigenart. Kulturarbeit von und mit Menschen mit Behinderung. Remscheid: Schriftenreihe der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung.
Evangelisches Johannesstift Behindertenhilfe gGmbH Berlin (2013): Grüne und warme Pferde konnte ich sehen. 30 Bildbetrachtungen. Erfurt: Dorise.
Fischer, S.; Lidwina, M. (2003): Selbstverwirklichungsprozesse erwachsener Menschen mit geistiger Behinderung über bildende Kunst? Marburg, 2003.
Forster, P. (2003): Kunst kennt keine Grenzen. Bildnerisches Gestalten mit Menschen mit einer geistigen Behinderung als ästhetische Praxis in der Sozialen Arbeit. Bern: Edition Soziothek.
Lichtenberg, A. (1987): Bildnerisches Gestalten von schwerst- und mehrfachbehinderten Menschen in der Kunsttherapie. In: Zur Orientierung (1), S. 24-25.
Lichtenberg, A. (1997): Einblicke in die kunsttherapeutische Arbeit mit schwerst- und mehrfachbehinderten Menschen. In: Theunissen, G. (Hg.): Kunst, ästhetische Praxis und geistige Behinderung. Bad Kleinbrunn: Klinkhardt, S. 106-119.
Schuppener, S. (2005): Selbstkonzept und Kreativität von Menschen mit geistiger Behinderung, Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Theunissen, G. (2004): Kunst und geistige Behinderung: Bildnerische Entwicklung – Ästhetische Erziehung – Kunstunterricht – Kulturarbeit Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Theunissen, G. (Hg.) (2013): Kunst als Ressource in der Behindertenarbeit: Schulische und außerschulische Ermöglichungsräume für Menschen mit Lernschwierigkeiten und komplexer Behinderung. Marburg: Lebenshilfe-Verlag.
Theunissen, G.; Großwendt, U. (Hg.) (2006): Kreativität von Menschen mit geistigen und mehrfachen Behinderungen: Grundlagen, Ästhetische Praxis, Theaterarbeit, Kunst- und Musiktherapie. Klinkhardt.
Voigt-Papke, G. (2014): Gestalten mit einfachen Mitteln: Kreative Techniken für Menschen mit Behinderungen. (3. Auflage), Weinheim: Beltz.