Spiel

PROFIL

Kleine Papierkügelchen zusammenrollen und vom Tisch schnipsen, ein Puzzle immer wieder auf’s Neue zusammensetzen, beim Musikmemory zuhören und gleiche Melodien finden  – dies können beliebte Spiele von erwachsenen Menschen mit schwerer Behinderung sein.

Sinn und Zweck des Spielens liegt in sich selbst begründet. Die Auseinandersetzung mit verschiedenen Spielmitteln, wie Spielzeuge zum freien Spiel, Regelspiele, aber auch vielfältige Alltagsgegenstände, die zu Spielzeugen werden können, erfolgt zur Freude und zum Zeitvertreib. Für das Spielen ist die Freiwilligkeit und Offenheit der Aktivität kennzeichnend: Spiele werden aus eigenem Antrieb aufgenommen.

Jedoch können Spielmittel auch eingesetzt werden, um z. B. Verhaltensweisen umzulenken bzw. zu verhindern. So kann ein interessantes Material in den Händen, das zum spielerischen Manipulieren einlädt (z. B. kleine Alltagsgegenstände oder Dinge mit besonderen taktilen Reizen, wie Klettverschluss-Oberflächen), von selbstverletzendem Verhalten abhalten.

Gemeinschaft erfahren und Emotionen ausleben

Ob Spannung im Spielverlauf, Freude beim Gewinnen oder Frust und Trost beim Verlieren – beim Spielen gibt es ganz besondere Möglichkeiten, Emotionen zu erleben und zu teilen. Ebenso kann beim Spielen soziales Interagieren in einem geschützten Rahmen erprobt und eingeübt werden. Auch Gemeinschaft kann im Zusammenspiel oder beim Nebeneinander-Spielen erfahren werden.

Spannungsfeld von Entwicklungs- und Lebensalter beim Spielen berücksichtigen

Fünf-Teile-Puzzle, Steckspiele, Bauklötze – für Erwachsene scheinen dies keine angemessenen Spielmaterialien mehr zu sein (außer es wird zusammen mit Kindern gespielt). Spielerisches Ausprobieren zeigt sich im Erwachsenenalter hingegen oft in künstlerisch-ästhetischen Bereichen, z.B. beim Malen und Musikmachen.

Bei der Auswahl von Spielmaterialien für Menschen mit schwerer Behinderung ist darauf zu achten, dass eine Verkindlichung und einseitige Ausrichtung auf einfache Konstruktions- und Legespiele vermieden wird. Es ist wichtig, das Angebot dabei auch zu erweitern und so immer wieder neue Erfahrungsmöglichkeiten im Spiel zu eröffnen. Die ausgewählten Spielmittel sollten einen besonderen Aufforderungscharakter haben, z. B. hinsichtlich der Farbe, der sensorischen Qualität, der Anregung zur Eigenaktivität oder durch das Anknüpfen an individuelle Spielinteressen und Erfahrungen.

Spielräume erweitern

Spielen bietet eine Abwechslung und einen Ausgleich zu den Aufgaben und Notwendigkeiten des Alltags. Hierfür ist es notwendig, Spielräume zu schaffen. Spielräume sind zum einen als konkrete Orte zu verstehen, die zum Spielen einladen. Zum anderen sind Spielräume passende Arrangements, die die individuellen Möglichkeiten der spielenden Person berücksichtigen und vielfältige Körper-, Umwelt-, Material- und Sozialerfahrungen eröffnen.

Ein Ziel von Spielangeboten kann es sein, neue eigenaktive Spielaktivitäten zu unterstützen – dies geschieht vor allem durch neue Spielmittel und Mitspieler_innen. Mitspielen erfordert die Offenheit, sich von den eigenen pädagogischen Ansprüchen zu lösen, und die Bereitschaft, auf Spielideen des Gegenübers einzugehen und eigene Spielimpulse zu geben (vgl. Lamers 2003, S. 252).

Eine umfangreiche Sammlung mit Spielmitteln für (erwachsene) Menschen mit schwerer Behinderung finden Sie unter ‚Vertiefungen

THEMENSPEKTRUM

Die folgenden exemplarischen inhaltlichen Impulse sollen die Breite des Themenspektrums herausstellen. Sie beziehen sich sowohl auf Mitarbeiter als auch auf Beschäftigte.

  • sensomotorische Spiele mit einzelnen Körperteilen (z. B. Haare, Hände, Finger spüren, riechen und begreifen)
  • Stimm- und Sprachspiele:
    • Spiele mit der Stimme (z. B. Lautieren, Laute rhythmisch wiederholen, Schreien, Stimme technisch verstärken)
    • mit Sprachneuschöpfungen experimentieren
    • Laute mit Bewegungen koordinieren
  • Bewegungsmuster wiederholt ausführen (z. B. immer auf bestimmte Fliesen treten)
  • Versteckspiele (z. B. Guck-Guck-Spiele)
  • Klatsch- und Rhythmusspiele
  • mit Materialien experimentieren (in den Mund stecken, hantieren, schütteln, fallen lassen, in die Luft werfen), dabei Handlungen wiederholen und variieren
  • Bewegungen von Objekten verfolgen (z. B. Mobile, Luftballon, Lichterketten)
  • an Schnüren, Seilen usw. ziehen und einen Gegenstand bewegen
  • etwas bauen oder stapeln
  • unterschiedliche Geräusche auf Alltagsgegenständen erzeugen (z. B. klopfen, schlagen, schaben)
  • Ein- und Ausräumen von Schränken und Regalen ‚ohne Ordnungsauftrag‘
  • Fantasie- und Rollenspiele mit Alltagsgegenständen durchführen
  • Stoffe und Kleidung zum Verkleiden nutzen
  • Wasser, Bohnen, Sand schütten oder rieseln lassen (z. B. in verschiedene Gefäße, Richtungen)
  • mit Sand, Laub, Holz und anderen Naturmaterialien spielen (z. B. etwas bauen, Muster legen)
  • an einem Wasserlauf spielen (mit den Füßen, den Händen, dem ganzen Körper)
  • am Strand spielen (z. B. Sand durch die Hände rieseln lassen, mit Wasser und Sand bauen, schippen, Muster in den Sand zeichnen)
  • Anreize in der nahen Umgebung schaffen, die zu Spielmaterialien werden können (z. B. eine Tastwand, Geräuschquellen, Musikinstrumente)
  • Schubladen mit unterschiedlichen interessanten Gegenständen zum Hervorholen, Auf- und Zuklappen
  • Spielzeug zum Hantieren, Begreifen oder Beißen (z. B. Fühlbrett mit verschiedenen Materialien, kontrastreicher Perlengreifling, Handschmeichler, Sensory Bag, Knisterkissen, Schneekugel, Beißring)
  • Ballspiele: den Ball jemandem zurollen, werfen und fangen
  • Bau- und Konstruktionsspiele: etwas stapeln, z. B. mit Bausteinen (Jenga, Lego, Kapla, Light-Stax-Leuchtbausteine), Spielzeug zum Drehen, Schrauben und Stecken
  • Zuordnungs- bzw. Legespiele: Bilderlotto, Puzzle, Domino
  • Brett- und Würfelspiele (z. B. mit Farbwürfeln): „Mensch ärgere dich nicht!“ bzw. „Alle würfeln mit“, „Fang den Hut!“, Kniffel
  • Geschicklichkeitsspiele: Mikado (z. B. auch mit weniger oder größeren Stäben), ein Ziel treffen (z. B. Ballon, Dosen), Tischkegelspiele, Tischfußball (unterfahrbar und höhenverstellbar), Bowling, Eisstockschießen, Murmelbahn
  • Kartenspiele: Quartettspiele, Mau Mau, Rommé
  • Denk- und Geduldsspiele: Memory (z. B. auch individuell angefertigt mit persönlich bedeutsamen Bildern), Hütchenspiele, „Wer bin ich?“-Spiel
  • Rollbrett oder Kettcar für Bewegungsspiele nutzen (ziehen und gezogen werden, treten)
  • Musik spielen (anhören, auf Instrumenten selbst spielen, …)
  • Glücksspiele (Roulette, Flipper, Bingo)
  • Zaubertricks erleben oder selbst lernen
  • mit einem Taster etwas auslösen (z. B. batteriebetriebene Spielsachen, einen Ventilator, Lampen, ein Radio oder ein Massagekissen an- und wieder abschalten)
  • mit zwei oder mehr Tastern etwas auslösen (z. B. Eisenbahn)
  • mit elektrischen Autos, Drohnen, Flugzeugen spielen
  • einfache Computer- und Automatenspiele
  • Spiele auf dem Tablet
  • Tiere streicheln
  • Stöckchen werfen mit einem Hund
  • mit einer Katze spielen (einen Faden zuwerfen, …)

Literatur

Lamers, W. (2003): Spiel – auch für Kinder und Jugendliche mit schwerer Behinderung ein identitätsfördernder Dialog mit der Welt? In: VHN, H. 2, S. 244–255.

siehe auch

 

Icon für Materialien

(weiterführende) MATERIALIEN

Aßmann, M; Hoffmann, C.; Theunissen, G. (2000): „Von den Stärken zum Empowerment -Theaterarbeit mit ehemals hospitalisierten geistig schwer behinderten Menschen“. In: Tilly, M.; Pankhofer, S. (Hg.): Empowerment konkret. Handlungsentwürfe und Reflexionen aus der psychosozialen Praxis. Dimensionen sozialer Arbeit und der Pflege. Band 4. Stuttgart: Lucius und Lucius, S. 111-118.
Bunk, U. (2008): Spiel und spieltherapeutische Methoden. Methoden in Heilpädagogik und Heilerziehungspflege. 2. Aufl., Troisdorf: Bildungsverlag EINS GmbH.
Grütjen, A.; Wache, A. (1999): SinnFlut – Erlebnistheater für Menschen mit schwerster Behinderung. In: I. Bielenberg (Hg.): Eigen-Sinn & Eigen-Art. Kulturarbeit von und mit Menschen mit Behinderung. Unter Mitarbeit von U. Baer. Remscheid: BKJ (Schriftenreihe der Bundesvereinigung Kulturelle Jugendbildung, Bd. 48), S. 131-134.
Hornicek, G. (2012): Spielen mit adaptiertem Spielzeug bei schwersten Behinderungen. In: Handbuch der Unterstützten Kommunikation. 07.009.001-07.013.001.
Lamers, W. (1997): Spielräume: … und sie spielen doch! In: Zusammen 17 (7), S. 19-30.
Lamers, W. (Hg.) (1993): Spielräume – Raum für Spiel. Spiel- und Erlebnismöglichkeiten für Menschen mit schweren Behinderungen. Düsseldorf: Verl. Selbstbestimmtes Leben.
Lang, A.; Maier-Michalitsch, N. (Hg.) (2020): Spielen bei Menschen mit komplexer Behinderung. 1. Auflage. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.
Manecke, A. (1997): Basales Theater – Ein Beitrag schwerstbehinderter Menschen. In: Reuter, W.; Theis, G. (Hg.): Spielräume, Spaßräume, Lernräume. Theaterpädagogische Anregungen -nicht nur für SonderpädagogInnen. Dortmund: Verlag modernes Lernen, S. 315-333.
Markowetz, R. (2007): Freizeitassistenz -Lebensqualität für Menschen mit schwerer Mehrfachbehinderung. In: Hinz, A. u. a. (Hg.): Schwere Mehrfachbehinderung und Integration -Herausforderungen, Erfahrungen, Perspektiven. Marburg (Lebenshilfe), 151-161.
Rahmen, H.; Lennartz- Pasch, R. (1988): Spielmaterial für Behinderte. Ideen – Anregungen – Erfahrungen. Schwelm. Skript Verlag.
Rahmen, H.; Lennartz- Pasch, R. (Hg.) (1990): Fantasto- ästhetisches Spiel- und Anregungsmaterial für Behinderte. Moers.
Reuter, G.; Theis, G. (Hg.) (1997): Spielräume, Spaßräume, Lernräume. Theaterpädagogische Anregungen – nicht nur für SonderpädagogInnen. Dortmund: modernes lernen.
Riegert, J.; Sansour, T.; Musenberg, O.; Buder, A.; Molnàr, T.; Müller, S.; Richter, B.; Thäle, A. (Hg.) (2019): Spielen. Menschen mit schwerer Behinderung und die Potenziale des Spiels. Aachen: Mainz Verlag.
Sahm, B. (2011): Tanzen, Musizieren, Theater spielen. Spielideen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Weinheim, München: Juventa-Verl. (Edition sozial).
Schoo, M.; Mihajlovic, Ch. (2021): Sport, Spiel und Bewegung für Menschen mit mehrfachen Behinderungen. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.
Stelios, X.; Stavros, T. (2020): Towards a serious games design framework for people with intellectual disability or autism spectrum disorder. In: Education and Information Technologies 25 (4), S. 3405-3423.