Spielpause

KONKRETISIERUNG   ·  Offene Spielpausen

 

SACHASPEKTE UND POTENZIAL

An Arbeits- und Bildungsorten für Menschen mit schwerer Behinderung ist das Spiel v. a. für die Pausengestaltung von Bedeutung, z. B. nach dem Beenden eines Arbeitsangebots oder zum Überbrücken von Wartezeiten. Damit im Sinne kultureller Bildung und Teilhabe auch neue Erfahrungen initiiert werden, lohnt es sich Spielpausen bzw. Spielräume so zu gestalten, dass alle Beschäftigten einer Gruppe sowohl eine individuell passende Spielmöglichkeit finden als auch neue Spielerfahrungen machen können.

Die im Folgenden vorgestellte offene Spielpause nimmt drei Spielbereiche genauer in den Blick:

  1. das Spielen mit sinnlich ansprechenden Materialien (z. B. verschiedene haptisch interessante Gegenstände und Oberflächen, Leuchtkörper, Musikinstrumente),
  2. Adaptionen eines Regelspiels: Memory (z. B. als Musik-Memory, Fühlmemory oder Memory mit individuell bedeutsamen Bildern),
  3. das Tablet als Spielgerät (verschiedene Spiel-Apps nutzen).

Die Potenziale dieser Spielbereiche sind vielfältig. Spielen bietet insgesamt Freude, Spaß und Entlastung von alltäglichen Anforderungen, Sorgen oder Schmerzen. Darüber hinaus können sich beim Spielen ganz andere Verhaltensweisen zeigen als sonst im Alltag. So kann z. B. beim Spiel mit sinnlich ansprechenden Materialien oder am Tablet eine ganz besondere Aktivität, Aufmerksamkeit oder Versunkenheit beobachtet werden. Spielen bietet außerdem ein wertvolles Potenzial zum Beziehungsaufbau und zur Kommunikation und kann so soziale Isolation verringern. Ein hoher Aufforderungscharakter der Spielmittel unterstützt dabei den Austausch mit Mitspieler_innen.

Das Gestalten von Spielpausen erfordert Offenheit, Kreativität und Sensibilität der begleitenden Mitarbeiter_innen. Damit die Spieler_innen selbst bestimmen können, was gespielt wird, ist es notwendig, dass begleitende Personen zum einen individuelle Spielprozesse erkennen und nicht (zu schnell) in diese eingreifen. Zum anderen ist es wichtig, dass sich die Mitarbeiter_innen auf einen zweckfreien Austausch einlassen und offen sind für Spieländerungen. Beim Spielen von Regelspielen sind ggf. Adaptionen zu bedenken und umzusetzen (z. B. Vereinfachung von Regeln, motorische oder sensorische Anpassungen).

Das Kennenlernen neuer Spiele erfordert zum Teil längere Übungsphasen, in denen nicht allein die (adaptierten) Regeln, sondern auch der Umgang mit dem Spielzeug eingeübt werden. So setzt z. B. das Spielen mit Hilfe von Tastern oder Tablets eine Sicherheit in der Handhabung sowie ein Verständnis für das Auslösen von Abläufen voraus.

IMPULSFRAGEN

Welche Spielerfahrungen haben die Beschäftigten gemacht? Welche Spielmittel nutzen sie, welche Regelspiele kennen sie?

Welche Interessen und Vorlieben bestehen hinsichtlich des Spielens?

Gibt es eine geeignete Zeit zum Spielen im Tagesablauf?

Welche Spielangebote bestehen bisher in den Pausen und Wartezeiten? Sind diese für alle Beschäftigten der Gruppe geeignet und interessant?

DIFFERENZIERUNG
  • Übertragung der Spielspannung auf den Körper (körperliche Anspannung und Aufregung) bewusst machen (die körperliche Spannung noch kurz verstärken und dann versuchen zu lösen, z. B. durch gemeinsames tiefes Ausatmen, Lockerung der Arm- und Beinmuskulatur)
  • die Auseinandersetzung mit verschiedenen Materialien ggf. mit Handführung unterstützen
  • deutliche Kontraste bei taktilen Erfahrungen ermöglichen (z. B. Materialien mit sehr verschiedener Oberflächenstruktur und Konsistenz nutzen)
  • Hypersensibilität berücksichtigen (ggf. wenige Materialien nutzen, die deutliche taktile Eindrücke hervorrufen, wie Massagebälle oder Kastanien)
  • Spielmittel ins Blickfeld rücken, auf eine gute Sicht auf das Spielfeld achten (ggf. Lagerung oder Positionierung verändern)

Sehbeeinträchtigung:

  • Regelspiele, Spielbretter u. Ä. adaptieren, z. B. mit deutlichen Hell-Dunkel-Kontrasten, Leuchteffekten
  • Farben variieren, mit Vergrößerungen arbeiten
  • am Computer statt am Tablet spielen (Vergrößerung nutzen)
  • vielfältige haptische und auditive Erfahrungsmöglichkeiten schaffen (z. B. Musikinstrumente und Spielmittel mit Soundeffekten oder unterschiedlicher Oberflächenstruktur wie Luftpolsterfolie, Felle, Klettverschluss, Samt einbeziehen bzw. anfertigen)
  • Musik-Memory spielen (Audiopaare suchen)
  • „Kleinen Raum“ zum Spielen einrichten nach dem Konzept von Lilli Nielsen

Hörbeeinträchtigung:

  • auf Blickkontakt, deutliche Mimik und Gestik beim gemeinsamen Spiel achten
  • Gesten und Gebärden beim gemeinsamen Memory-Spiel vereinbaren, ggf. Gebärden einbeziehen, um Spielregeln zu erklären
  • Vibrationen beim Ausprobieren von Musikinstrumenten spüren lassen, mit Verstärkung arbeiten
  • Ruhige Umgebung zum Spielen suchen, Störgeräusche vermeiden

Hypersensibilität

  • auf Zeichen des Unwohlseins und der körperlichen Anspannung aufgrund von Lärm achten
  • auf den Einbezug von Musikinstrumenten verzichten
  • Ruhepausen einplanen
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • Selbstbestimmung während der gesamten Spielphase ermöglichen, z. B. bei der Auswahl des Spieles, des Spielraumes und der Spieldauer
  • veränderte Rolle als Mitarbeiter_in beim Begleiten von Spielangeboten beachten:
    • Spielideen der Beschäftigten aufgreifen
    • Spielangebote ergebnisoffen planen
    • stellvertretendes Auswählen von Spielmitteln und Unterstützung während des Spielens regelmäßig reflektieren
  • auf Kinderspielzeug verzichten (z. B. die Spielidee adaptieren, Spielmaterialien altersangemessen gestalten)
  • individuelle Spielgewohnheiten (Spielbiografien) berücksichtigen
  • Akzeptanz von Unterbrechungen bzw. Abbruch des Spiels
  • mit eigenen Spielvorschlägen und Spielideen zurückhaltend sein
  • kommunikative Situationen während des Spielens erkennen und darauf eingehen (z. B. gemeinsam mit Materialien hantieren, vor- und nachspielen mit Musikinstrumenten, Bälle zuwerfen)
  • spielbezogene Kommunikation unterstützen (z. B. „Die Nächste ist dran.“ „Noch einmal!“), dabei u. a. Gesten, Gebärden, Piktogramme nutzen
  • Gefühle, wie z. B. Freude und Ärger während des Spiels, spiegeln oder kommunizieren
  • auf eine bequeme Lagerung, Sitz- oder Liegeposition beim Spielen achten
  • auf Kinderspiele verzichten
  • Spielentscheidungen der Beschäftigten akzeptieren
  • Pausen einplanen, um Spannung im Spiel auch wieder abbauen zu können
  • Emotionen im Spiel wahrnehmen und Gelassenheit ausstrahlen
  • das Auswählen und Spielen verschiedener Spiele unterstützen durch eine Vielfalt an Materialien, Spielzeug, adaptierten Regelspielen
  • die Erfahrung unterstützen, etwas bewirken und selbst bestimmen zu können (z. B. durch den Einbezug von Tastern)
  • die Möglichkeit eröffnen, neue Spiele und Spielmittel kennenzulernen
  • eigene Spielideen einbringen können
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • das Spiel
  • die Spielpause
  • das Tablet
  • das Memory-Spiel
  • die Regel
  • der Gewinner / die Gewinnerin
  • der Verlierer / die Verliererin
  • spielen
  • verlieren
  • gewinnen
  • gut
  • langweilig
  • Was möchten Sie spielen?
  • Sie sind dran!
  • Ich habe gewonnen / verloren.
  • noch einmal
  • Stop!
  • Das macht Spaß!
  • Mist! / Scheiße!
  • Yeah! / Juchhu!
BEISPIELPLANUNG

Ausschlaggebend für die Planung der offenen Spielpausen ist eine Berücksichtigung bisheriger Spielerfahrungen der Beschäftigten und der Anspruch, für alle eine Auswahl individuell anregender Spielmittel (Materialien, Spielzeug, Regelspiele) zur Verfügung zu stellen. Dies erfordert zumeist auch Adaptionen bestehender Spiele oder das Entwickeln von individuellen Spielmöglichkeiten für einzelne Personen.

So kann z. B. die Gestaltung eines „kleinen Raumes“ für motorisch stark eingeschränkte Personen eine Möglichkeit darstellen, in bequemer Körperposition ein lustbetontes Hantieren mit unterschiedlichen Materialien und Oberflächenstrukturen sowie das Auslösen von Effekten (z. B. Leuchtbausteine oder tasterbetriebene Spielsachen an- und ausstellen) anzuregen. Außerdem kann das gemeinsame Spielen eines Regelspiels wie Memory Spannung und Gemeinschaft erlebbar machen. Die verschiedenen Spiele-Apps auf einem Tablet bieten weitere Möglichkeiten, individuelle Vorlieben beim Spielen zu berücksichtigen.

In der Vorphase sollte auch reflektiert werden, inwieweit die zur Verfügung stehenden Spielmittel altersadäquat sind.

Der Einstieg in die offene Spielpause sollte vorrangig individuell gestaltet werden und zum Spielen motivieren. Durch ein beispielhaftes Ausprobieren wird ein Überblick über die verschiedenen Spielmöglichkeiten gegeben. Ziel ist es dabei auch, Neugierde zu wecken, sich mit neuen Spielmitteln auseinanderzusetzen und ein stereotypes Spielen langsam aufzulösen. Spiele, die bereits gespielt wurden, werden aufgegriffen und erweitert.

Eine Unterteilung und ggf. unterschiedliche Kennzeichnung der Spielmittel (z. B. Regelspiele, die allein oder in einer Gruppe gespielt werden) kann den Überblick bei der Auswahl eines Spiels erleichtern.

In der Spielphase ergeben sich v. a. zwei Aufgaben für die Mitarbeiter_innen:

  1. Die (weitestgehend) selbstbestimmten Spielentscheidungen und das Spielen der Beschäftigten zu unterstützen und ggf. als Mitspieler_innen zur Verfügung zu stehen.
  2. Ein neues Spiel zu erklären und einzuüben. Dabei steht noch nicht das Spielerlebnis im Mittelpunkt, sondern ein Heranführen an ein neues Spielmittel.

Zu 1.: Wird das Spielen der Personen begleitet, ist eine zurückhaltende Einstellung notwendig, damit das selbstbestimmte Spielen der Personen nicht unterbrochen wird. Es können ggf. Impulse gegeben werden, um ein Spielhandeln auszulösen oder die Handhabung der verschiedenen Spielmittel individuell zu unterstützen (z. B. das Bedienen des Touchscreens).

Zu 2.: Ein neues Spiel kann v. a. durch ein Vor- und Nachmachen erlernt werden: Das Spiel wird erklärt und gleichzeitig gemeinsam durchgeführt. So kann z. B. Memory zunächst mit sehr wenigen Paaren gespielt werden, um das Konzept des Findens von gleichen Bildpaaren zu lernen. Um das Merken der Bilder zu unterstützen, kann es auch sinnvoll sein, einen persönlichen Bezug zu den einzelnen Bildern herzustellen oder Bilder mit individuell bekannten Motiven zu wählen (z. B. ein Memory mit Bildern der Einrichtung oder mit persönlichen Fotos). Ähnlich einem Bilderlotto kann Memory auch mit ‚offenen Karten‘ gespielt werden.

Das Spielen am Tablet setzt voraus, dass bei den Beschäftigen eine Aufmerksamkeit und ein Interesse für Bilder und Filme besteht. Es kann beim Tablet mit sehr einfachen Spielen begonnen werden, die allein auf Bild- oder Soundeffekte durch ein Berühren des Touchscreens bezwecken. Anschließend können thematisch sehr unterschiedliche Spiele einbezogen werden, die gezieltere Bewegungen erfordern.

Damit die Beschäftigten die Möglichkeit erhalten, ihr Spiel langsam zu beenden, ist es sinnvoll, das Ende der Spielpause vorher anzukündigen (z. B. Time Timer stellen, „Das ist jetzt die letzte Runde.“).