Musik

PROFIL

Das angestellte Radio während der Werkstattzeit, das Gitarrenspiel in der Pause, die Zeit auf dem Klangbett in der Musiktherapie oder die Trommelgruppe am Nachmittag – Musik ist allgegenwärtig an Arbeits- und Bildungsorten für Menschen mit schwerer Behinderung.

Altersadäquate Musikangebote gestalten

Musikalische Angebote können es ermöglichen, den kulturellen Reichtum der Musik kennenzulernen und sich mit den verschiedenen musikalischen Themen und Inhalten auch durch eigene Umsetzungen vertraut zu machen.

Aufgrund ihrer einfachen Verständlichkeit und musikalischen Zugänglichkeit werden oft Kinder- und Volkslieder sowie Schlager in Musikangeboten für Menschen mit schwerer Behinderung genutzt. Diese Beschränkung auf deutsches und lang bekanntes Liedgut ist naheliegend, sollte jedoch kritisch hinterfragt werden. Da sich der individuelle Musikgeschmack häufig im Laufe eines Lebens verändert und erweitert, ist es sinnvoll, vielfältige Musikstile – von Klassik bis Pop, von Hip-Hop bis Schlager –  einzubeziehen und nicht immer auf die ‚alten Hits‘ zurückzugreifen.

Musikalische Angebote an Arbeits- und Bildungsorten unterscheiden sich durch ihren besonderen Schwerpunkt auf der Teilhabe an musikalischer Vielfalt von musiktherapeutischen Angeboten. Diese werden zumeist als Einzelangebote für Menschen mit schwerer Behinderung organisiert und zielen stärker noch auf eine individuelle Förderung und Rehabilitation ab.

Klangvielfalt erleben und mit Musik einen eigenen Ausdruck finden

Die rezeptive Wahrnehmung von Musik ist voraussetzungslos, denn gegenüber akustischen Eindrücken und ihren körperlich spürbaren Vibrationen kann man sich kaum verschließen. Vibrationen und Basstöne bzw. verschiedene Bassrhythmen bieten auch Menschen mit Hörschädigungen einen Zugang zur Musik. Ob jedoch etwas als angenehmer Höreindruck und Musik empfunden wird, ist höchst subjektiv.

Der Charakter jeder Musik wird durch Melodie (Thema und Variation), Harmonie (den mehrstimmigen Zusammenklang), Rhythmus (Tondauer und Pausen) und Dynamik (Lautstärke) bestimmt. Musik klingt in uns nach – das wird nicht nur bei einem Ohrwurm deutlich.

Das Hören und Spielen von Musik ruft Gefühle und Stimmungen hervor, kann emotionale Bedürfnisse bewusst machen und zur emotionalen Entlastung beitragen (z. B. trösten, beruhigen, aufheitern). Das Musizieren und Experimentieren mit Klängen bietet dabei Möglichkeiten, aktiv eigene Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln und zu erweitern.

Musikalische Angebote für Menschen mit schwerer Behinderung sollten keine ‚akustische Berieselung‘ sein, sondern zum aktiven Zuhören und Musizieren einladen. Die Freude an der Musik sowie das Schaffen verschiedener Klangerlebnisse stehen dabei im Mittelpunkt.

Ebenso wie der Bereich der künstlerischen Gestaltung erschließt sich Musik durch aktive, rezeptive und reflexive Prozesse. → weiterführende Materialien

Durch Musik kommunizieren – begleiten, den Ton angeben, hören und Antwort geben

Musik braucht Zuhörer_innen und ist beim Musizieren zu zweit, zu dritt oder in größeren Ensembles unabdingbar mit Gemeinschaft verbunden. Das gemeinsame Musizieren bietet die Möglichkeit zur positiven Kontaktaufnahme und -gestaltung. Dabei erfordert es eine hohe Sensibilität seitens der Mitarbeiter_innen, die (körperlichen) Reaktionen von Menschen mit schwerer Behinderung bei musikalischen Aktivitäten – ob beim Musikhören oder aktivem Musizieren – genau wahrzunehmen, zu deuten und darauf zu reagieren.

Bei der Gestaltung musikalischer Angebote bestehen viele Möglichkeiten zur Vernetzung mit dem bestehenden Kulturleben. Das Musizieren und Aufführen bietet Chancen, die soziale und kulturelle Teilhabe von Menschen mit schwerer Behinderung zu stärken.

THEMENSPEKTRUM

Die folgenden exemplarischen inhaltlichen Impulse sollen die Breite des Themenspektrums herausstellen. Sie beziehen sich sowohl auf Mitarbeiter als auch auf Beschäftigte.

  • Body Percussion zur Liedbegleitung und Improvisation einsetzen (z. B. Klatschen, Klopfen, Schnipsen, Stampfen; ggf. technisch verstärken)
  • Vocal Percussion bzw. Beatboxing zur Liedbegleitung und Improvisation einsetzen (z. B. Schnalzen, rhythmische Knall- und Knackgeräusche, Pfeifen, stimmlose Laute; mit Mikrofon)
  • Singstimme (z. B. Sprechverse, Bewegungslieder, Volkslieder, Songs einüben)
  • Gemeinsames Singen: Vor- und Nachsingen, zu zweit, in kleiner Gruppe oder im Chor singen
  • einzelne Instrumente und Instrumentengruppen (z. B. Streich-, Schlag-, Saiteninstrumente) näher kennenlernen und spielen
  • einfache bzw. vereinfachte Instrumente erlernen (z. B. Schlaginstrumente, Handglocken, Gitarren mit Akkordstimmung oder einzelnen Saiten)
  • Natureindrücke, Orte, Bilder, Emotionen usw. mit Instrumenten vertonen
  • Instrumente selbst bauen und spielen (z. B. Trommel, (Veeh-)Harfe, Bass)
  • bekannte und beliebte Musikstücke covern

z. B. Geschirr, Mülleimer, Gläser

  • ‚Klänge des Alltags‘ bewusst machen (z. B. Geschirrklappern, fließendes Wasser, Klingeltöne, Alltagstechnik), ggf. aufnehmen und rhythmisch weiterbearbeiten
  • Alltagsgegenstände als Schlag- und Rhythmusinstrumente nutzen (z. B. bei Improvisationen, Cupsong)
  • Klänge mit Wassergläsern erzeugen
  • Rhythmen an Hilfsmitteln erzeugen (z. B. auf Orthese oder Rollstuhl klopfen bzw. mit Schlägel spielen)
  • individuelle Playlist mit Lieblingsstücken erstellen
  • musikbezogene Technik und Bearbeitungsprogramme nutzen (z. B. CD-Player, iPod, Mikrofon, Musik-Streaming-Dienste, Bloom, Argon Synthesizer, Drum Machine, Audacity)
  • Motion Composer nutzen
  • UK-Geräte (z. B. GoTalk) als individuelle Lieddatenbank (‚Jukebox‘) einsetzen
  • durch Verstärkung und Wiederholung (u. a. Mikrofon, Lautsprecher, Loops) neue bzw. größere Klangwirkungen und Soundeffekte erzielen
  • Klangcollagen und kleine Hörspiele anfertigen
  • eigene Tonaufnahmen oder Musikvideos produzieren
  • aufgenommene Geräusche, Klänge und Stimmen mit dem Computer bearbeiten
Icon für Materialien

(weiterführende) MATERIALIEN

Amrhein, F. (1993): Bewegungs-, Ausdrucks-, Wahrnehmungs- und Kommunikationsförderung mit Musik. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 44 (9), S. 570-589.
Bailly, D. (2005): Soundscape – eine Möglichkeit kreativer Betätigung für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung? Teil I: Theoretische Grundlagen für eine Unterrichtsreihe „Soundscape“. In: Musik-, Tanz- & Kunsttherapie. In: Zeitschrift für künstlerische Therapien im Bildungs-, Sozial- und Gesundwesen 16 (2), S. 63-76.
Behne, K.-E. (1993): Wirkungen von Musik. In: Musik und Unterricht. 4 (1), S.4-9.
Berenbold, U.; Laufer, D. (2003): Musikalische Erwachsenenbildung mit Schwerstbehinderten? Musikunterricht in der Werkstufe der Schule für Geistigbehinderte. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 54 (1), S. 20-29.
Bertolaso, Y. (Hg.) (2001): Musik-, Kunst- und Tanztherapie. Qualitätsanforderungen in den künstlerischen Therapien. Münster: Paroli (Pädagogik und Therapie, 11).
Dederich, M. (1998): Leiblichkeit, Kommunikation und Musik – Die Bedeutung einer Philosophie der Leiblichkeit für Pädagogik und Therapie. In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft 21, S. 33-46.
Dederich, M. (2000): Grenzgänge. Beziehungsorientierte Arbeit mit dem Medium Musik bei Menschen mit schweren Schädel-Hirn-Trauma. In: Fornefeld, B.; Dederich, M. (Hg.): Menschen mit geistiger Behinderung neu sehen lernen. Asien und Europa im Dialog über Bildung, Integration und Kommunikation. Düsseldorf, S.171-195.
Dill, C. (1988): Projekt Geräuschegarten. Musikerziehung bei Schwerstbehinderten. In: Lehrer-Journal. Sonderschulmagazin 10 (2), S. 31-32.
Eisenschmidt, I.; Wulfers, Ch. (Hg.) (2003): Rhythmik in der Arbeit mit schwerbehinderten Menschen. München: Reinhardt (Sonderpädagogik).
Esser, S.; Hahnen, P.; Hausmann-Hirsch, P.; Scharrenberg, C. (1995): Musik mit Schwerstbehinderten. In: Lernen konkret 14 (4), S. 2-5.
Gembris, H. (Hg.) (2014): Musik im Alter. Soziokulturelle Rahmenbedingungen und individuelle Möglichkeiten. Frankfurt: Peter Lang GmbH, Internationaler Verlag der Wissenschaften.
Haase, U.; Schulze, W. (Hg.) (2012): Musiktherapie für Menschen mit geistiger Behinderung im Spannungsfeld zwischen Psychotherapie, Förderung und Betreuung Materialien zur 7. Wissenschaftlichen Tagung der Akademie für angewandte Musiktherapie Crossen und der DMVS e.V. Mai 2011.
Hahnen, P. (1995): Musikhören – Gedanken und Handreichungen zum Musikhören mit schwerstbehinderten Schülern. In: Lernen konkret 14 (4), S. 23-25.
Helbig, A. (2004): Zugangswege zur Musik mit schwerstbehinderten Kindern. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 55 (4), S.208-215.
Kruse, R.;Hinz, R.; Frenzke, P. (2008): Band ohne Noten. Mainz: Schott Music.
Laufer, D. (1995): Untersuchungen zur Transferwirkung der Musik auf die sprachlichen Leistungen von Menschen mit geistiger Behinderung: Dohr.
Laufer, D. (2004): Vom musikalischen Handlungsunterricht zum intrinsisch motivierten Bildungsauftrag – Zwei biographische Stationen des Musikunterrichts an der Schule für Geistigbehinderte. In: Daniela Laufer (Hg.): De Consolatione Musicae. Festschrift zur Emeritierung von Walter Piel. 1. Aufl. Köln: Dohr (Kölner Studien zur Musik in Erziehung und Therapie, Bd. 9), S. 125-147.
Lehmkuhle, J. (2007): Förderung von Menschen mit geistiger Behinderung durch Bewegung und Tanz. Münster: Waxmann.
Lernen konkret (1995): Musik mit schwerstbehinderten Schülerinnen und Schülern. Themenheft. In: Lernen konkret 14 (4 ).
Meyer, H. (2010): Komponisten mit schwerer Behinderung: Fallgeschichten aus der Musiktherapie. Freiburg: Lambertus.
Meyer, Hj. (2012): Komponisten mit schwerer Mehrfachbehinderung. In: Horsch, U./Wanka, A. (Hrsg.): Inklusive Bildungsmomente bei Kindern mit CHARGE-Syndrom. Heidelberg: Median
Meyer, Hj. (2016): Musikbasierte Kommunikation für Menschen mit schwerer Behinderung. Das Konzept. 2. Auflage. Karlsruhe: Von-Loeper-Literaturverlag (Kommunikation in der Sonderpädagogik).
Meyer, Hj.; Zentel, P.; Sansour, T. (Hg.) (2016): Musik und schwere Behinderung. Karlsruhe: Loeper.
Piel, W. (1994): Musik in Sonderpädagogik, Musiktherapie und Medizin, Bad Honnef 1992. 1. Aufl. Köln: Dohr (Kölner Studien zur Musik in Erziehung und Therapie, Bd. 1), S. 81-92.
Piel, W. (2001): Musik als Stimulans für Stimmung und Antrieb bei geistig behinderten Kindern und Jugendlichen. In: Bertolaso, Y. (Hg.): Musik-, Kunst- und Tanztherapie. Qualitätsanforderungen in den künstlerischen Therapien. Münster: Paroli (Pädagogik und Therapie, 11), S. 95-100.
Piel. W. (2006): Musiktherapie. In: Antor, G.; Bleidick, U. (Hg.): Handlexikon der Behindertenpädagogik. Schlüsselbegriffe aus Theorie und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer Verlag, S. 381-383.
Probst, W.; Vogel-Steinmann, B. (1978): Musik, Tanz und Rhythmik mit Behinderten (Dortmunder Beiträge zur Musik in der Sonderpädagogik).
Sahm, B. (2011): Tanzen, Musizieren, Theater spielen. Spielideen für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Weinheim, München: Juventa-Verl. (Edition sozial).
Watson, T. (2007): Music Therapy with Adults with Learning Disabilities. Lonon: Routledge.