Teilhabe an Arbeit

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Teilhabe an Arbeit

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Experteninterview

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Heinz Becker
Bremen

Was bedeutet Teilhabe an Arbeit?

Herr Meier, ein 50-jähriger Mann, besucht einen Arbeits- und Bildungsort. Er sitzt im Rollstuhl und benötigt bei fast allen Tätigkeiten des täglichen Lebens Unterstützung. Zuwendung und Unterstützung in Pflegesituationen scheint Herr Meier gerne anzunehmen. Herr Meier kennt die Namen der Mitarbeiter_innen und der anderen Beschäftigten in seiner Gruppe. Er spricht einige wenige Zwei-Wort-Sätze, die er gerne wiederholt (z. B. den Wunsch nach Kaffee). Herr Meier räumt gerne verschiedene Sandsäckchen aus einer Kiste aus und wieder ein. Er scheint diese taktile Erfahrung zu mögen und verrichtet diese Tätigkeit manchmal über Stunden.

Arbeit = „Mühsal“, „Not“?

Käthe Kollwitz – Pflugzieher und Weib ©

Handelt es sich bei diesem fiktiven Fallbeispiel um Arbeit?

Was unter Arbeit zu verstehen ist, ist schwer zu definieren. Der Begriff „Arbeit“ leitet sich vom alt- und mittelhochdeutschen Wort ‚arebeit‘ ab und meint „Mühsal“ oder „Not“ [1]. Auch wenn das deutsche Wort bestehen blieb, dürfte sich der Bedeutungsgehalt verändert haben. Für viele Menschen ist Arbeit zumindest nicht ausschließlich mit „Mühsal“ assoziiert, sondern wird durch ganz unterschiedliche Aspekte gekennzeichnet: Geld verdienen, Kolleg_innen treffen, sich verwirklichen u. v. m. Was genau Arbeit ausmacht, ist nicht eindeutig zu klären, sondern wird in sozialen Prozessen immer wieder neu verhandelt [2].

Arbeit als Erwerbsarbeit

In einem engeren Verständnis wird Arbeit als Erwerbsarbeit verstanden und meint dann Tätigkeiten, die der Herstellung von Gütern oder der Erbringung von Leistungen zum Zweck des Tausches auf Märkten dienen, d. h. Arbeit, von der man lebt oder durch die man verdient. In einem umfassenderen Sinne meint Arbeit körperliche und geistige Tätigkeiten des Menschen, die mit einem Ziel oder Zweck verbunden sind. Der Begriff „Arbeit“ meint auch das Ergebnis solcher Tätigkeiten [3]. Allerdings müssen zielgerichtete körperliche und geistige Tätigkeiten nicht zwangsläufig als Arbeit verstanden werden. Für die meisten Menschen handelt es sich bei Tätigkeiten wie dem Lesen eines Romans oder dem Hören von Musik nicht um Arbeit.

Leistungsaustausch

Fragt man danach, was denn keine Arbeit ist, so kann man als das Charakteristische von Arbeit den gesellschaftlichen Leistungsaustausch bezeichnen [4]. Tätigkeiten, die ausschließlich für sich selbst getan werden (z. B. Zähne putzen), wären nach diesem Verständnis nicht als Arbeit zu verstehen. Bei Arbeit kommt es darauf an, dass eine Tätigkeit vorliegt, von der (auch) andere (zumindest potenziell) einen Nutzen haben. Dieser Nutzen verlangt von anderen eine Gegenleistung. Im Falle von Erwerbsarbeit erfolgt dies in der Regel durch finanzielle Entlohnung. Finanzielle Entlohnung stellt eine sehr abstrakte und verallgemeinerte Form der Anerkennung dar. Manchmal empfinden Menschen jedoch Arbeiten als „schlecht bezahlt“ und damit als unzureichende Anerkennung oder sogar Missachtung einer Arbeit.

Anerkennung

Bei nicht-ökonomischen Tätigkeiten können andere Formen der Anerkennung bzw. Gegenleistung erfolgen: Wenn Herr Müller für seine Nachbarin die Blumen gießt, während diese im Urlaub ist, kann er damit rechnen, dass sie dies beim nächsten Mal auch für ihn übernimmt, wenn er verreist ist. Der Leistungsaustausch verläuft aber nicht zwangsläufig gleichwertig. Das wird z. B. deutlich, wenn es sich um Fürsorgearbeit handelt, bei der eine Person eine andere unentgeltlich pflegt. Die Person erhält dann vermutlich Anerkennung aus ihrem Umfeld, aber nicht unbedingt eine gleichwertige direkte Gegenleistung.

Kompetenzerfahrung

Neben der Anerkennung durch andere ist die eigene Kompetenzerfahrung bei Arbeitstätigkeiten wichtig: „Der Begriff Kompetenzerfahrung umfasst alle Möglichkeiten zur Erweiterung und Anwendung eigener Fähigkeiten sowie das Erleben der Konsequenzen eigenen Handelns für sich selbst und andere.“ [5] Tätigkeiten auszuüben, die für einen selbst und für andere eine Bedeutung haben, vermittelt Selbstwirksamkeit und trägt damit zur Lebensqualität bei. Darüber hinaus können Arbeitstätigkeiten und der Wechsel von Arbeit und Freizeit zu einem strukturierten Zeiterleben beitragen [6]. Da Arbeit an einen Leistungsaustausch gebunden ist, kommt es bei Arbeitstätigkeiten zwangsläufig zum Austausch mit anderen. Dieser Austausch zeigt sich teilweise auch als Kooperation, wenn die Erreichung eines Ziels mit Zusammenarbeit verbunden ist.

Wenn Herr Meier Sandsäckchen aus einer Kiste ausräumt und wieder einräumt, handelt es sich um eine Tätigkeit, die er für sich selbst tut. Das mag ihm gefallen und für ihn subjektiv sinnvoll sein, er ist dabei aber in keinen Leistungsaustausch eingebunden. Es handelt sich also nicht um eine Arbeitstätigkeit im oben beschriebenen Sinne.

Zielorientierte Handlungen

Das heißt: Arbeit ist an Ergebnissen orientiert und umfasst daher zielorientierte Handlungen. Arbeit beinhaltet gesellschaftlichen Leistungsaustausch. Das bedeutet, dass durch Arbeit ein Beitrag für eine Gemeinschaft geleistet wird, der nach Anerkennung z. B. in Form einer Gegenleistung verlangt. Arbeit kann Kompetenzerleben, ein strukturiertes Zeiterlebnis sowie die Notwendigkeit zu Kontaktaufnahme, Kooperation und/oder zum Austausch vermitteln. Arbeit ist nicht auf Erwerbsarbeit beschränkt, sondern umfasst auch nicht-ökonomische Tätigkeiten. Arbeit umfasst aber keine Tätigkeiten, die Menschen ausschließlich für sich selbst tun.

Welche Bedeutung hat das Thema Arbeit für Menschen mit schwerer Behinderung?

 Selbstwirksamkeit

Reduziert man Arbeit auf Erwerbsarbeit, so ließe sich argumentieren, Arbeit sei in erster Linie zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts da. Menschen, deren Unterhalt gesichert ist, könnten demnach auf Arbeit verzichten. Menschen mit schwerer Behinderung, die in Arbeits- und Bildungsorten beschäftigt sind, wird zugeschrieben, das im Sozialgesetzbuch IX § 219 vorgesehene „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung“ [7] nicht erbringen zu können. Erwerbsarbeit ist für sie daher nicht vorgesehen. Das schließt aber nicht aus, dass für diesen Personenkreis Arbeitstätigkeiten nicht relevant wären. Denn die vorangegangenen Ausführungen machen deutlich, dass Arbeitstätigkeiten Anerkennung und Selbstwirksamkeit vermitteln sowie gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen – Aspekte, die auch Menschen mit einer schweren Behinderung nicht vorenthalten werden dürfen.

Arbeitsweltorientierte Tätigkeiten

Gleichzeitig werden mit dem Begriff Arbeit bestimmte Anforderungen in Verbindung gebracht. Ein Mensch, der arbeitet, verfolgt ein Ziel, er muss ggf. bestimmte Vorgaben einhalten. Wie lässt sich dies mit Menschen mit schwerer Behinderung vereinbaren, die sehr oft schwerwiegende Einschränkungen in der Handlungskompetenz (→ Theoretische Grundlagen: Kognition & Handlungskompetenz) aufweisen? Handlungsfähigkeit ist zwar in jedem Menschen angelegt, sie bedarf bei den meisten Menschen mit schwerer Behinderung jedoch einer Unterstützung bei den verschiedenen Strukturelementen einer Handlung: Orientierung, Planung, Durchführung und Kontrolle [8]. Da Arbeit an Ergebnissen orientiert ist, erscheint es in Bezug auf Menschen, die sich überwiegend wahrnehmungsbezogen oder manipulierend mit Dingen auseinandersetzen, angemessener, von arbeitsweltorientierten Tätigkeiten zu sprechen und nicht von Arbeit [9]. Gemeint sind damit Tätigkeiten, die zur Arbeit hinführen und/oder Menschen an der Arbeitswelt beteiligen.

Drei Formen von Tätigkeit

Menschen sind auf unterschiedliche Art und Weise tätig. Das bedeutet, sie haben unterschiedliche Motive, wenn sie sich mit ihrer Umwelt auseinandersetzen. Im Folgenden werden drei Formen der Tätigkeit unterschieden. Die Tätigkeitsformen dienen als Orientierung, um Personen in ihren Möglichkeiten einschätzen zu können und Angebote so zu gestalten, dass sie die jeweilige Person dabei unterstützen, ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln. Allerdings dürfen die Tätigkeitsformen nicht als in sich abgeschlossene Entwicklungsstufen verstanden werden. Auch Menschen, die in der Lage sind, Handlungsvollzüge zu überblicken und zu reflektieren, sind in bestimmten Situationen auch noch effektgeleitet tätig. Insofern geht es nicht darum, Menschen einer Tätigkeitsform starr zuzuordnen, sondern vielmehr darum zu schauen, welche Tätigkeitsformen für eine Person vor dem Hintergrund ihrer Entwicklung bereits möglich sind.

Tätigkeitsformen

Tätigkeitsformen

Herr Meier ist effektgeleitet und ergebnisorientiert tätig. Er mag das taktile Erkunden von Gegenständen. Er manipuliert aber nicht ausschließlich mit den Sandsäckchen, sondern räumt diese gezielt aus und ein. Diese Kompetenz könnte für verschiedene Arbeitstätigkeiten relevant sein. Beispiel 1: Herr Meier kann sich beim Abräumen des Tisches beteiligen, indem er Geschirr oder Lebensmittel, die auf dem Tisch stehen, in eine Kiste einpackt und diese mit Assistenz in die Küche transportiert. Beispiel 2: Herr Meier mag gern Kaffee. Über eine Taste, die er bedient, könnte er Kaffeebohnen mahlen. Er kann die Veränderung der Konsistenz (harte Bohne vs. feines Kaffeepulver) taktil erspüren und sich am Kaffeeduft erfreuen. Über die Zubereitung des Kaffees erfährt er das Ergebnis seiner Tätigkeit. Die beiden Beispiele beschreiben Haushaltstätigkeiten, die der gesamten Gruppe zugutekämen. Herr Meier wäre also nicht mehr nur für sich selbst tätig, sondern auch für andere. Warum ist das sinnvoll? Herr Meier erhält Wertschätzung für seine Tätigkeit und er erlebt sich als selbstwirksam. Die Tätigkeiten lassen ihn leichter mit anderen in Kontakt kommen, da er zum Beispiel auf Zusammenarbeit angewiesen ist.

Produktionsprozesse

Produktion umfasst die Herstellung von Gütern. Dabei werden Ausgangsstoffe (Werkstoffe) durch unterschiedliche Fertigungsprozesse zu einem Produkt verarbeitet. Der Fokus eines Angebots im Bereich der Produktion liegt auf dem Endprodukt, das gefertigt werden soll. Trotzdem können für die Beschäftigten die unmittelbaren Erfahrungen, die während des Fertigungsprozesses gemacht werden, im Vordergrund stehen. Das Ergebnis ist bei Produktionsprozessen am Ende sichtbar. Dadurch erleben sich die Beschäftigten als selbstwirksam. Ein Prototyp bzw. Beispiel des fertigen Produkts kann auch für den Einstieg als Orientierungsgrundlage genutzt werden.

Funktionsbereiche

Da Angebote im Bereich der Produktion in der Regel keinen einmaligen Projektcharakter haben, sondern über einen längeren Zeitraum regelmäßig durchgeführt werden, bietet es sich an, in der Einrichtung bzw. im Gruppenraum Funktionsbereiche einzurichten. Neben einem Gruppentisch für die Mahlzeiten oder Pausen könnte es z. B. eine Ruheecke (Rückzugsmöglichkeit/Entspannung) geben und einen Bereich für die Fertigung, wo sich auch Materialien und Werkzeuge befinden. Verfügt die Einrichtung über einen eigenen Werkraum, so wäre dieser besonders zu empfehlen für Arbeiten, die den Einsatz von Maschinen oder größere Vorrichtungen (z. B. Schleifmaschinen zur Holzverarbeitung) notwendig machen. Eine Zusammenarbeit mit dem Produktionsbereich der WfbM sowie eine kooperative Nutzung der Räumlichkeiten der WfbM wären ebenfalls denkbar.

Dienstleistungen

Bei Dienstleistungen oder sog. Services stehen immaterielle Güter im Vordergrund, auch wenn Dienstleitungen mit materiellen Produkten in Verbindung stehen können, wie z. B. beim Verkauf. Dienstleistungen ermöglichen häufig soziale Interaktionen, z. B. Kundengespräche beim Verkauf oder Übergabegespräche bei Botendiensten etc. Diese sozialen Interaktionen können auch außerhalb des Arbeits- und Bildungsortes entstehen und so eine Öffnung der Einrichtung nach außen ermöglichen. Gerade Arbeiten im Bereich Dienstleistung können Kooperationen mit öffentlichen Einrichtungen oder Betrieben im Sozialraum eröffnen.

Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich daraus?

Die Chancen, die sich aus Angeboten zur Teilhabe an Arbeit ergeben, lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:

Tagesstruktur

  • Arbeitsangebote schaffen ein strukturiertes Zeiterleben und Abwechslung im Tag durch das Erleben von Phasen der Anstrengung und Erholung.

Kompetenzerleben

  • Arbeitsangebote ermöglichen Kompetenzerleben.

Veränderte Wahrnehmung

  • Die Teilhabe an Arbeit kann das Bild von Menschen mit schwerer Behinderung verändern. Indem zum Beispiel Produkte hergestellt und verkauft  oder Dienstleistungen angeboten werden, werden Kompetenzen deutlich und der Fokus liegt nicht nur auf der Hilfebedürftigkeit und Defiziten.

Kooperationen

  • Durch Arbeitsangebote, die außerhalb der Einrichtung (im Sozialraum) stattfinden oder die eine Kooperation mit Menschen außerhalb des Arbeits- und Bildungsortes erforderlich machen, werden neue Kontakte erschlossen.

Bildungs- und Förderpotenzial

  • Arbeitsweltorientierte Tätigkeiten können gleichzeitig Bildungs- und Förderpotenzial aufweisen, indem neue Erfahrungen gemacht  und verschiedene Entwicklungsbereiche angesprochen werden.

Als Herausforderungen bei der Planung und Durchführung von Arbeitsangeboten können auftreten:

Arbeitshilfen

  • Viele Produktionsschritte sind motorisch anspruchsvoll. Für Menschen mit körperlichen Einschränkungen können gezielt Arbeitshilfen entwickelt werden, die eine weitgehend selbstständige Durchführung einzelner Arbeitsschritte erleichtern [10].

Handlungsorientierung

  • Da Arbeit an Ergebnisse gebunden ist, sind Arbeitstätigkeiten auf ein Ziel hin orientiert. Nicht für alle Beschäftigten lässt sich das Ziel der Tätigkeit aber nachvollziehbar darstellen. Beispielsweise sind spätere Verkaufsvorhaben als abstrakte Vorgänge für viele Menschen mit schwerer Behinderung schwer vorstellbar. Das übergeordnete Ziel einer Produktionstätigkeit bleibt somit möglicherweise diffus. Trotzdem kann die Handlungsorientierung, z. B. durch die Präsentation des Endprodukts, unterstützt werden.

Vermarktung

  • Wenn Menschen mit schwerer Behinderung an Arbeits- und Bildungsorten Produkte herstellen, ist es für die Einrichtung oft schwer, diese auch zu verkaufen. Der Verkauf wird in vielen Fällen über eine WfbM abgewickelt. Auch die Vermarktung der Produkte ist für die Einrichtungen eine Herausforderung, da dies nicht zu den Kernaufgaben eines Arbeits- und Bildungsortes zählt.

Leistungen anerkennen

  • Wenn Arbeit durch einen Leistungsaustausch charakterisiert werden kann, dann stellt sich die Frage, worin dieser besteht, wenn es sich nicht um finanziell entlohnte Arbeit handelt. In welcher Form kann Menschen mit schwerer Behinderung Anerkennung für ihre Arbeit zuteilwerden? Zum Beispiel könnten die Beschäftigten freien Eintritt in den (Tier-)Park bekommen, bei dessen Pflege und Instandhaltung sie beteiligt sind.

Was ist notwendig, damit die Teilhabe an Arbeit für Menschen mit schwerer Behinderung möglich wird?

Sinnvolle Arbeitstätigkeit

  • Charakteristisch für Arbeitsprozesse ist der gesellschaftliche Leistungsaustausch. Die Arbeitstätigkeit weist daher eine Relevanz für die Gemeinschaft (innerhalb und/oder außerhalb der Einrichtung) auf. Anerkennung und Bedeutsamkeit des Angebots für alle Beteiligten sind maßgebend. Das Arbeitsangebot sollte auch in den Augen der Mitarbeiter_innen keine Beschäftigungsmaßnahme darstellen, sondern von ihnen als sinnvoll erachtet werden.

An den Interessen und Kompetenzen ansetzen

  • Während sich kulturelle Angebote einer gesellschaftlichen Verwertungslogik entziehen, sind Arbeitstätigkeiten auf ein Ziel ausgerichtet, z. B. die Herstellung eines Produkts. Das Ziel der Tätigkeit (Wie soll das Ergebnis aussehen? Welchen Zweck erfüllt es?) wird den Beschäftigten nach Möglichkeit verdeutlicht. Bei allem Bestreben, Menschen die Teilhabe an Arbeit zu ermöglichen, sollte aber immer auch kritisch reflektiert werden, welchen Ertrag der Einzelne – personenzentriert – für sich aus dem Arbeitsangebot zieht. Inwiefern setzt das Angebot an den Interessen, Vorlieben und Kompetenzen einer Person an oder inwiefern kann es dazu beitragen, dass Vorlieben und Kompetenzen ausgebildet werden? Greift das Angebot verschiedene Tätigkeitsformen auf, können also auch Menschen, die überwiegend effektgeleitet tätig sind, daran sinnvoll beteiligt werden?

Positive Reaktionen

  • In Dienstleistungssituationen kann der unmittelbare Nutzen, den die eigene Tätigkeit für andere hat, oftmals besser nachvollzogen werden und die anerkennenden Reaktionen sind – zum Beispiel im Kontakt mit Kunden – direkter erfahrbar. Bei Tätigkeiten in der Produktion ist der Leistungsaustausch dagegen für manche Beschäftigte nur schwer vermittelbar.

Bildungsprozesse

  • Von arbeitsweltorientierten Tätigkeiten zu sprechen kann auch bedeuten, dass es nicht in erster Linie darum geht, etwas für andere zu tun. Vielmehr sollte an den individuellen Bedürfnissen und Interessen angesetzt werden. Das kann bedeuten, dass bei der Produktionstätigkeit nicht zwangsläufig der Verkauf im Vordergrund steht, sondern die Erfahrung, dass durch die eigene Tätigkeit etwas entsteht, zum Beispiel ein Werkstück. Durch die Auseinandersetzung mit Werkstoffen und Werkzeugen, das Erlernen von Arbeitsabläufen und das Wahrnehmen von Veränderungsprozessen, z. B. von unbearbeitetem Holz und geschliffenem Holz, werden arbeitsweltorientierte Bildungsprozesse initiiert.

Quellen

[1] Gröschke 2011, S. 130 [2] vgl. ebd., S. 136 [3] vgl. Kocka 2008, S. 445 f. [4] vgl. Krebs 2002 [5] Terfloth & Sabo 2011, S. 359 [6] vgl.ebd. [7] Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2016 [8] vgl. Schulte-Peschel & Tödter 1996, S. 23 [9] vgl. Radatz et al. 2005, S. 23 [10] vgl. Kistner 2018

Literatur

Bundesministerium für Arbeit und Soziales (Hg.) (2016): Bundes-Teilhabe-Gesetz (BTHG), Berlin.

Gröschke, D. (Hg.) (2011): Arbeit, Behinderung, Teilhabe. Anthropologische, ethische und gesellschaftliche Bezüge. Bad Heilbrunn: Klinkhardt Verlag.

Kistner, H. (2018): Arbeitsassistenz – Ein Arbeitsbuch aus der Praxis für die Praxis. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.

Kocka, J. (2008): Arbeit im historischen Grundriss. In: Davis, B.; Lindenberger, T. & Wildt, M. (Hg.): Alltag, Erfahrung, Eigensinn. Historisch-anthropologische Erkundungen. Frankfurt am Main: Campus Verlag, S. 445–457.

Krebs, A. (2002): Arbeit und Liebe. Die philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag.

Radatz, J.; König, F.; Bausch, M.; Petri, C. & Humpert-Plückhahn, G. (2005): Arbeitsweltbezogene Bildungsbegleitung im Übergangsfeld zwischen Schule und Beruf. In: Impulse 36 (12), S. 23–33.

Schulte-Peschel, D. & Tödter, R. (1996): Einladung zum Lernen. Geistig behinderte Schüler entwickeln Handlungsfähigkeit in einem offenen Unterrichtskonzept. Dortmund: Verlag Modernes Lernen.

Terfloth, K. & Sabo, T. (2011): Lebensqualität durch tätigkeits- und arbeitsweltbezogene Angebote. In: Fröhlich, A.; Heinen, N.; Klauß, T. & Lamers, W. (Hg.): Schwere und mehrfache Behinderung – interdisziplinär. Impulse: Schwere und mehrfache Behinderung, Band 1. Oberhausen: Athena-Verlag, S. 345–366.

siehe auch

 

IMPULSFRAGEN & REFLEXIONSÜBUNGEN

  • Inwiefern haben die Beschäftigten die Möglichkeit verschiedene Aspekte von Arbeit (beispielsweise Vorbereitungen, Rohstoffe, unterschiedliche Arbeitsschritte, Endprodukte, Kundenkontakt, Wertschätzung etc.) zu erfahren?
  • Welche Möglichkeiten gibt es für die Beschäftigten außerhalb der Einrichtung zu arbeiten?
  • Welche Möglichkeiten haben die Beschäftigten sowohl im Team mit anderen Beschäftigten als auch alleine zu arbeiten?
  • Inwiefern können die Beschäftigten selbstbestimmt entscheiden, an was, auf welche Art und Weise und mit wem sie arbeiten möchten?
  • Auf welche Art und Weise erfahren die Beschäftigten Wertschätzung und Anerkennung für ihre Arbeit?
  • Wirkung der eigenen Arbeit – Wie erleben Beschäftigte, dass ihre Arbeitstätigkeit einen Beitrag für andere darstellt?

Es gibt keine genaue Definition von Arbeit. Auch was Arbeit genau ausmacht, lässt sich nicht eindeutig klären. Beeinflusst wird das Verständnis dieses Begriffes von sozialen und gesellschaftlichen Einflüssen sowie individuellen Ansichten. Diese gilt es nun zu hinterfragen.

  • Welchen Stellenwert hat die Arbeit in Ihrem Leben?
  • Warum gehen Sie arbeiten? Was motiviert Sie täglich zur Arbeit zu gehen?
  • Was assoziieren Sie mit dem Wort ‚Arbeit‘?
  • Durch welche Aspekte ist Arbeit, Ihrer Meinung nach, gekennzeichnet?
  • Was ist für Sie das Gegenteil von Arbeit (im Sinne von „keine Arbeit“)?
  • Wann arbeite Sie gerne?
  • Unter welchen Bedingungen arbeite Sie gerne?
  • Überlegen Sie, in welchen Situationen Sie sich bei Ihrer Arbeit unwohl gefühlt haben.
  • Durch was genau haben Sie sich beeinträchtigt gefühlt?
  • Welche Gefühle hat das in Ihnen ausgelöst?
  • Auf welchen Herausforderungen bzw. Schwierigkeiten sind Sie gestoßen?
  • Was hat Ihnen geholfen?
  • Was empfinden Sie als Wertschätzung für Ihre Arbeit?
  • Wie erleben Sie, abgesehen vom Lohn, als Wertschätzung für Ihre Arbeit?
  • Was würden Sie sich als Wertschätzung, außer Lohn, wünschen?
  • In welcher Form kann Menschen mit schwerer Behinderung Anerkennung für Ihre Arbeit zuteilwerden?
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(weiterführende) MATERIALIEN

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