Orientierung im Raum

PROFIL

sich im Gruppenraum auf seinen Platz setzen, die Holzwerkstatt aufsuchen, um dort zu arbeiten, zur Toilette gehen, im Supermarkt einkaufen …

Hören wir Orientierung im Raum, denken wir häufig zunächst an Geocaching oder moderne Navigationssysteme, Karten und Kompass. Orientierung im Raum ist aber bei nahezu allen Aktivitäten im Alltag notwendig und bedeutet zunächst einmal, sich  in der unmittelbar räumlichen Umgebung zu orientieren.

Sich in Räumen orientieren zu können, ist bereits dann notwendig, wenn man im Gruppenraum vom Tisch zur Tür geht oder seinen Arbeitsplatz mit Materialien aus einem weiter entfernten Regal einrichten möchte. Die Räume, in denen man sich im Laufe eines Tages orientieren muss, sind dabei vielfältig. Es sind Orte, an denen man z. B. wohnt, arbeitet oder einkauft, zum anderen auch unbekannte Plätze und Gebäude, die nur gelegentlich aufgesucht werden, wie Museen, Kinos, Behörden. Um die unterschiedlichen Orte zielgerichtet finden zu können, ist es notwendig, sich an die Wege zwischen zwei Orten zu erinnern. Hierzu werden Orientierungspunkte genutzt, die besonders markant sind. Dies können beispielsweise besonders große Gebäude bzw. Erhebungen wie Kirchen oder Berge sein, aber auch besonders auffällige Punkte wie beispielsweise ein besonders bunt gestrichenes Haus. Auf diese Weise werden bestimmte Orte und Wegstrecken gedanklich miteinander vernetzt (vgl. Mallot 2004, S. 22). Die Orientierung in bekannten Umgebungen und das Wiedererkennen bestimmter Wege resultiert also insbesondere aus Erfahrungen, die bereits gesammelt wurden. An unbekannten Orten werden außerdem Hinweisschilder genutzt, um sich zu orientieren.

Der eigene Körper stellt den Ausgangspunkt für jede weitere Orientierung dar. Über den Stellungssinn und die taktile Wahrnehmung kann die Lage des eigenen Körpers im Raum bestimmt werden. Der eigene Körper bildet damit auch einen Bezugspunkt für Richtungsangaben wie oben, unten, vorne, hinten, links, rechts.

Zusätzlich gibt die visuelle Wahrnehmung Aufschluss darüber, wo genau man sich befindet und welche Position andere Objekte oder Menschen in Bezug zur eigenen Person einnehmen. Die visuellen Eindrücke werden dann mit Vorerfahrungen und Erinnerungen abgeglichen und leisten so ebenfalls einen Beitrag zur Orientierung.

Menschen mit schwerer Behinderung nehmen Räume häufig nur vom Rollstuhl aus wahr. Kann der Rollstuhl nicht selbstständig bewegt werden, sind sie in ihren Möglichkeiten sehr beschränkt, Räume zu erkunden und kennenzulernen.

Für den Alltag an Arbeits- und Bildungsorten wird deutlich, dass es wichtig ist, Menschen mit schwerer Behinderung vielfältige Erfahrungen und Bewegungen im Raum zu ermöglichen. Dies gilt sowohl für die Räume innerhalb der Einrichtung  bzw. ihr direktes Umfeld als auch für die weitere Umgebung. Für Beschäftigte, die Beeinträchtigungen beim Sehen haben, sollten zudem haptisch oder akustisch erfahrbare Orientierungspunkte geschaffen werden.

THEMENSPEKTRUM

Die folgenden exemplarischen inhaltlichen Impulse sollen die Breite des Themenspektrums herausstellen. Sie beziehen sich sowohl auf Mitarbeiter als auch auf Beschäftigte.

  • den eigenen Körper durch Bewegungen erfahren (durch aktive oder passive Bewegungen)
  • Veränderungen des Körpers in Bezug zur Schwerkraft erleben (z. B. liegen, sitzen, stehen)
  • die Veränderung der Raumlage bei Pflegehandlungen kennenlernen (z. B. im Lifter, Drehen während der Körperpflege, Wechsel zwischen Liegen und Sitzen)
  • unterschiedliche Bewegungsrichtungen kennenlernen (z. B. vorwärts und rückwärts laufen, mit dem Rollstuhl fahren/gefahren werden, seitwärts laufen)
  • die Körperteile und ihre Stellung zueinander erfahren (z. B. wie weit sind Hände und Füße auseinander, wie können sie sich berühren)
  • Lagebeziehungen von Gegenständen in Bezug zum eigenen Körper kennenlernen (z. B. nah an der Wand liegen, unter etwas liegen, sich auf etwas stellen)
  • den eigenen Körper in Bezug zu anderen Menschen im Raum erfahren (z. B. neben jemandem sitzen, jemandem ausweichen)
  • körperbezogenen Richtungshinweisen folgen (z. B.: Gehe nach vorne!)
  • Bewegungen auf unterschiedlichem Untergrund ausführen, um Bewegungssicherheit zu erlangen
  • Geschwindigkeit erfahren (z. B. schnell laufen, schnell im Rollstuhl gefahren werden, Bus fahren)
  • sich mit Hilfe des eigenen Körpers in Räumen fortbewegen (z. B. robben, krabbeln, laufen)
  • Fortbewegungsmittel nutzen (z. B. Rollstühle, Rollbretter, Rollator)
  • unterschiedliche Fahrzeuge und ihre Nutzung kennenlernen (z. B. Ein- und Aussteigen in Autos, Bussen und Zügen)
  • Ortswechsel und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in Beziehung setzen (z. B. eine lange Fahrt bedeutet, dass wir uns von zuhause weit weg bewegen)
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(weiterführende) MATERIALIEN

Eggert, D.;  Bertrand, L. (2002): RZI – Raum-Zeit-Inventar der Entwicklung der räumlichen und zeitlichen Dimension bei Kindern im Vorschul- und Grundschulalter und deren Bedeutung für den Erwerb der Kulturtechniken Lesen, Schreiben und Rechnen. Dortmund: Borgmann.
Fiegl, H. et al. (1999): Sachkunde, kreativ unterrichten, Orientierung im Raum. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag.
Gegenfurtner, K. R. (2015): Wahrnehmungspsychologie: Der Grundkurs. (9. Auflage), Berlin: Springer.
Hahn, D. (2015): Wie mit Hilfe vom Empowerment ein Mobilitätstraining in Werkstätten für behinderte Menschen möglich ist. Hamburg: disserta Verlag.
Heeg S (1993): Bauen für verwundbare Menschen. In: Bauwelt 84 (10), S. 420-425.
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