Gemeinsamer Spaziergang

KONKRETISIERUNG  ·  Gemeinsamer Spaziergang *

Phillip Frank – Sozialwerk Breisgau


SACHASPEKTE

Menschenwürde bestand auf dem Recht zum Gang, einem Rhythmus, der nicht dem Leib von Befehl oder Schrecken abgedrungen wird.1 – Theodor W. Adorno

Ein gemeinsamer Spaziergang erfüllt mehrere Zwecke. Das eigene Wohnumfeld kann zu Fuß erschlossen werden, die Bewegung an der frischen Luft und der Aufenthalt in der Natur ist gesundheitsfördernd2, Erfahrungen mit Naturmaterialien können gemacht und Witterung, Temperatur sowie Jahreszeiten werden auf direkte Weise erlebt.

In Zeiten der Pandemie bietet ein ritualisierter, morgendlicher Spaziergang Möglichkeit aus den zusammengelegten Wohn- und Arbeitsräumlichkeiten für kurze Zeit zu entkommen. Durch das Unternehmen eines Spazierganges in der Gruppe, kann das Angebot genutzt werden sich auszutauschen und sich selbst im Bezug auf Andere zu erfahren.

Indem verschiedene Routen angeboten werden, kann im Vorfeld die Gruppe in die Planung miteinbezogen werden. Bei der Wahl des Weges ist auf eventuelle Gangunsicherheiten der Teilnehmenden zu achten. Die gegangene Route soll ebenso den Erfordernissen von Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind entsprechen.

Um in den sozialen Aspekten des Angebots auch individuelle Bedürfnisse nicht zu vernachlässigen, werden im Voraus Sammelpunkte besprochen und markiert. So können die Teilnehmenden sich im eigenen Tempo fortbewegen ohne Angst haben zu müssen ausgeschlossen zu werden.


1 Adorno, Theodor W. [1951]: Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main, 1997.

2 Schäffer, Silvia: Naturerfahrungen und Gesundheit: Motorische Fähigkeiten, subjektive Gesundheitseinschätzungen und Einblicke in den Alltag von Waldkindergartenkindern, Bonn, 2016. – Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.

IMPULSFRAGEN
  • Welche Strecken sind von allen Teilnehmenden zu bewältigen?
  • Welche sonstigen gesundheitlichen und konstitutionellen Bedingungen gilt es zu beachten?
  • Welcher Personalschlüssel ist für die Begleitung angedacht?
  • Bei welcher Witterung kann das Angebot stattfinden?
  • Wie kann zu dem Angebot motiviert werden?
  • Mit welchen Hilfsmitteln zur Orientierung wird bereits gearbeitet?
  • Welche markanten Punkte gibt es auf den angebotenen Strecken?
  • Wie viel Zeit steht dem Angebot zur Verfügung?
  • Finden Termine im Anschluss statt?
DIFFERENZIERUNG
  • Wetter bewusst werden lassen und verbalisieren („heute ist es windig/kalt/heiß“)
  • Hilfe bei Auswahl von witterungsgerechter Kleidung anbieten
  • Unterschiedliche Hilfsmittel anbieten um Lage in Raum wahrzunehmen (im Rollstuhl schieben und kurze Strecken (wenn möglich) mit Hilfe gehen, Aufrichten an Aussichtspunkten etc.)
  • Erschöpfungsanzeichen deuten und verbalisieren, daraufhin motivieren oder Pausen anbieten
  • Umgebung mit den Händen erkunden (Geländer, Zäune, Pfosten)
  • Naturmaterialien erfahren lassen um Orientierung zu ermöglichen.
    • Diese Erfahrungen verbalisieren kommunizieren lassen (Laub auf dem Boden, Baumrinde, „Wir sind im Wald!“)
  • Auf Bodenbeschaffenheit aufmerksam machen
  • Aussichtspunkte nutzen und markante Stellen zeigen („Wo sind wir gestartet?“)
  • Kontrastreiche (hell/dunkel) Plätze als Sammelort auswählen
  • Sammelorte deutlich markieren (eigene Schilder)
  • Verschiedenen Routen Farben zuweisen
  • Dinge in der Ferne fokussieren (Gebirgskette am Horizont) und Objekte aus der Nähe betrachten (Insekt unter Lupe, Pflanzen)
  • Änderung der Untergrundfarbe verbalisieren und Sicherheit bieten („Hier geht es lang“; „Der Weg geht weiter“)
  • Aussichtspunkte nutzen und markante Stellen zeigen („Wo sind wir gestartet?“)
  • Kontrastreiche (hell/dunkel) Plätze als Sammelort auswählen
  • Sammelorte deutlich markieren (eigene Schilder)
  • Verschiedenen Routen Farben zuweisen
  • Dinge in der Ferne fokussieren (Gebirgskette am Horizont) und Objekte aus der Nähe betrachten (Insekt unter Lupe, Pflanzen)
  • Änderung der Untergrundfarbe verbalisieren und Sicherheit bieten („Hier geht es lang“; „Der Weg geht weiter“)
  • Gerüche der Umgebung zur räumlichen und zeitlichen Orientierung nutzen (Rascheln von Laub, Geruch von Mittagessen an Häusern, Geruch von Regen oder frisch gemähtem Gras)
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • Abstimmen über die Wahl der Strecke
  • Fortbewegung im eigenen Tempo
  • Entscheidung treffen lassen ob in oder außerhalb der Gruppe gegangen wird und in welchem Abstand zu anderen Personen dies geschieht
  • Auf Bedürfnisse der Gruppe während des Spaziergangs eingehen (Pausen, Erkunden, Abkürzen etc.)
  • Gemeinsame Besprechung der Routen
  • Freiwilligkeit des Angebots
  • Bewegung als Gesundheitsvorsorge
  • Klare Kommunikation über die Wahl der Strecke
  • Verschiedene Kommunikationsformen anbieten (ausgedruckte Karten, Piktogramme, Gebärden)
  • Verhalten beobachten und verbalisieren (z.B. Angst bei Unebenheiten)
    • Infolge dessen Mut zu sprechen und motivieren
  • In Wartezeiten an Geduld der Teilnehmenden appellieren
  • Unterschiedlichkeit der Teilnehmenden hervorheben („egalitäre Differenz“)
  • Herausforderungen anbieten (z.B. Unebenheiten im Untergrund meistern)
  • körperliche Grenzen wahrnehmen
  • Hilfestellungen anbieten
  • Teilnehmende ihre Umgebung erkunden lassen
  • Teilnehmende als Expert*innen für das eigene Umfeld wahrnehmen (Kenntnisse über die Nachbarschaft)
  • Rückmeldungen zur bereits gegangenen Strecken
  • Fortschritte verbalisieren und visualisieren (Karten ausdrucken und abhaken)
  • Streckenabschnitte alleine gehen lassen
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • Der Spaziergang
  • Der Weg
  • Die Strecke
  • Der Hügel
  • Der Wald
  • Die Pause
  • Der Rollstuhl
  • Der Gehstock
  • Der Gehwagen
  • Die Gruppe
  • Die Richtung
  • Die Karte
  • Das Schild
  • gehen
  • stehen bleiben
  • warten
  • laufen
  • abbiegen
  • zurück kommen
  • steil
  • uneben
  • rutschig
  • müde
  • anstrengend
  • schnell
  • langsam
  • weit
  • kurz
  • rechts
  • links
  • geradeaus
  • zurück
  • hier
  • dort
  • Ich brauche…
  • Ich möchte…
  • Ich kann nicht mehr…
  • Mir ist es zu…
  • Bitte warten!
  • Bitte weiter!
BEISPIELPLANUNG

Gemeinsam in der Gruppe werden sich verschiedene Routen überlegt. Zunächst sollte sich die Auswahl auf zwei Routen begrenzen um eine Überforderung hinsichtlich der Orientierung auszuschließen. Die Routen werden im Vorfeld farblich markiert (Bänder an geeigneten Orten) und markante Orte werden mit Fotos festgehalten. Zudem werden Plätze als Sammelplätze festgelegt. Diese dienen dazu die Strecke in Teilbereiche zu unterteilen und ermöglichen einzelnen Gruppenmitgliedern in ihrem eigenen Tempo zu gehen. So wird der Gruppencharakter des Angebots gewahrt ohne dass die Teilnehmenden ihre eigenen Bedürfnisse einschränken müssen.

In der Vorphase sollten außerdem die Zeiträume abgesteckt und Folgetermine in Erfahrung gebracht werden.

Für den Einstieg in das Angebot bietet sich ein zusammenkommen in der Gruppe an. Im folgenden wird von einer Einbindung in den Morgenkreis ausgegangen. Hier kann je nach Wetterlage und Motivation der einzelnen Teilnehmenden eine Route festgelegt werden. In diesem Rahmen sollte man die für das Wetter adäquate Garderobe empfehlen. Nach einem ritualisierten Ende der Besprechung folgt das Signal zum Schuhe wechseln, dieses ist gleichzeitig der Startmarker für das Angebot.

Bei der Durchführung ist auf einen ausreichenden Personalschlüssel zu achten. Gerade bei unebenen Gelände wird unter Umständen von vielen Menschen Hilfe benötigt, die sich normalerweise selbständig fortbewegen können. Es sollte sich bewusst gemacht werden, ob Personen auf dem gesamten Weg Begleitung benötigen.

Nachdem alle Teilnehmenden fertig zum Aufbruch sind, wird die vorher besprochene Route begangen. Hierbei wird darauf geachtet, dass es ausreichend Möglichkeiten zum Erkunden der Umwelt gibt. Personen die sich mehr Zeit lassen können dies tun, Personen die schneller sind, haben die Möglichkeit an den Sammelstellen auf den Rest der Gruppe zu warten. Unter Umständen muss dies erst eingeübt werden. Mitarbeiter*innen können vorgeschickt werden um am Sammelplatz einzelne Teilnehmende zu empfangen. So wird eine möglichst selbstbestimmte Orientierung ohne Verletzung der Aufsichtspflicht gewährleistet. Eine Orientierung kann im Sinne der bereits vorgenommenen Differenzierung unterstützt werden (Lenken der Aufmerksamkeit auf markante Orte, Orientierung mittels verschiedener Sinne etc.).

Die Erfahrungen zur Orientierung im Raum können auf unterschiedliche Arten stattfinden. Es reicht von einem basalen Erfahren von Bewegung oder dem taktilen Wahrnehmen von Untergrundbeschaffenheiten bis zum komplexen Vergleichen von Kartendaten auf technischen Hilfsmitteln mit real erlebten Gegebenheiten.

Zum Abschluss kann ein Nachgespräch stattfinden, in dem Wünsche und Anregungen aus der Gruppe aufgenommen und in zukünftigen Spaziergängen berücksichtigt werden können. Dieses Gespräch kann auch niederschwelliger auf den letzten Metern des Spazierganges oder in einer Nachfolgenden Aktivität stattfinden. Durch die regelmäßig stattfindenden Spaziergänge wird nach und nach die Umgebung um das eigene Wohnumfeld systematisch erschlossen.


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Die Konkretsierung ist im Rahmen der Multiplikator*innenqualifikation entstanden.