Biografie in den Blick nehmen

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Biografie im Blick

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Experteninterview

Biografiearbeit

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Matthias Westecker
Leben mit Behinderung Hamburg

Experteninterview

Menschen mit schwerer Behinderung im Alter

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Dr.in Monika Seifert
Berlin

Was ist Biografiearbeit?

„Die Lebensgeschichte eines Menschen ist nichts Statisches oder Festgefügtes, sondern stetig im Fließen und verändert dadurch wieder das Selbsterleben.“ [1].

Sich Erinnern

Die Biografie in den Blick nehmen – je nach Lebensphase und -situation blicken wir in unregelmäßigen Abständen und mit unterschiedlicher Intensität auf unser Leben zurück. Manchmal nehmen wir vergangene Ereignisse in den Fokus, um unsere gegenwärtige Lage zu reflektieren oder uns werden Parallelen zu früheren Lebensereignissen bewusst. Dieses Erinnern bietet aber nicht nur die Grundlage für die Reflexion, wie sich die eigene Lebensgeschichte entwickelt hat, sondern kann auch als Basis für die Planung der Zukunft dienen.

Strukturierte Auseinandersetzung

Dieses Kapitel soll Mitarbeiter_innen helfen, die Biografie von Beschäftigten in den Blick zu nehmen. Der Fokus liegt auf der strukturierten Auseinandersetzung mit der Biografie und kann in diesem Sinne auch als Arbeit an der Biografie oder Biografiearbeit verstanden werden. Dabei ist Biografiearbeit als ein kontinuierlicher Prozess aufzufassen, welcher methodisch angeleitet wird und sich somit von spontanen Erinnerungen im Alltag unterscheidet [2]. Erinnerungen können jedoch den Ausgangspunkt für Biografiearbeit bilden und den Wunsch nach einer systematischen Betrachtung der Biografie hervorrufen.

Im wörtlichen Sinne wird Biografie als Lebensgeschichte bzw. die verschriftlichte Form der Lebensgeschichte definiert [3]. In diesem Kapitel zum Thema Biografie und Biografiearbeit soll darüber hinaus z. B. das erzählte Leben bzw. die Beschäftigung mit persönlichen Gegenständen aus der Lebensgeschichte, aktivitätsbezogene Formen der Biografiearbeit, leibliche Aspekte der Biografie sowie die stellvertretende Biografiearbeit in die Definition miteinbezogen werden.

Subjektive Deutungen der Lebensereignisse

Biografien umfassen dabei nicht die objektiven Lebensdaten, wie sie z. B. in einem Lebenslauf dargestellt werden, sondern sind die subjektive Deutung und Einordnung von Lebensereignissen [4]. Nicht nur das Individuum, sondern auch die Gesellschaft, in welcher es lebt, werden durch die Biografie repräsentiert. Somit hat die Biografie gleichzeitig immer individuelle und allgemeine Anteile, welche in Wechselwirkung zueinanderstehen [5]. Biografien sind

„immer Fragmente, selbst dann, wenn sie den Anspruch haben, ein ganzes Leben zu umreißen. Immer wird eine bestimmte Perspektive gewählt, werden Lebensschwerpunkte herausgearbeitet, kann die Vielfalt von Lebensvollzügen nicht in einzelnen Beschreibungen festgehalten werden. Sie sind Annahmen über eine Realität, die vorüber ist. Auch die beste Beschreibung bleibt eine Konstruktion […].“ [6]

Auseinandersetzung mit der Vergangenheit

Biografiearbeit kann damit als ein Prozess der Auseinandersetzung, Verarbeitung und Aneignung der Lebensgeschichte unter einem bestimmten Fokus verstanden werden und je nach Lebensumstand verschiedene Ziele verfolgen [7]. So kann die Auseinandersetzung mit der Biografie zur Identitätsbildung durch die (Re-)Konstruktion des Geworden-Seins beitragen, zum Aufzeigen von zukünftigen Perspektiven dienen oder zur Wiederentdeckung von Fähigkeiten und Ressourcen genutzt werden. Individualität und Eigenart der Person werden gestärkt und ein Bewusstsein für die Verantwortung für das eigene Leben wird geschaffen. Biografiearbeit kann auch zur Kompensation und Aufarbeitung von schwierigen Lebensereignissen genutzt werden (z. B. Beziehungsabbrüchen) oder Lebensqualität bzw. Sicherheit gewährleisten, indem wichtige individuelle Routinen und Gewohnheiten nicht aus dem Blick verloren gehen [8].

Um diese Ziele verfolgen zu können, zielt Biografiearbeit auf die Herstellung einer Verbindung zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ab und kann auf diese Art und Weise das Gefühl der Kontinuität vermitteln. Ausgehend von der Gegenwart, für welche ein Status quo bestimmt wird, blicken Beschäftigte und Mitarbeiter_innen unter einer Fragestellung auf die Lebensgeschichte der Beschäftigten zurück, um die Zukunft planen zu können [9]. Diese drei Zeitebenen lassen sich nicht immer klar voneinander trennen, da sie miteinander verschränkt sind [10]. Dabei ist Biografiearbeit auch ausdrücklich auf die Zukunft ausgerichtet und klammert diese nicht aus [11]. Eine Möglichkeit, sich der Dimension der Zukunft anzunähern, ist die Persönliche Zukunftsplanung, welche eine Methodensammlung darstellt, um über die Zukunft nachzudenken und diese zu planen. Bei der Persönlichen Zukunftsplanung handelt es sich um einen personenzentrierten Ansatz, welcher an den Ressourcen der Beschäftigten anknüpft und auf die Verbesserung der Lebensqualität abzielt [12].

Lebensereignisse

Dabei sind Biografien über alle Zeitebenen hinweg gekennzeichnet durch einen Wechsel zwischen konstanten Phasen und Krisenzeiten [13]. Kritische Lebensereignisse stellen Ereignisse dar, welche den Alltag unterbrechen und eine bestehende Passung zwischen Individuum und Umwelt auflösen. Krisen können nicht nur durch plötzliche Veränderungen, wie einen Todesfall im Umfeld eintreten, sondern auch aufgrund von schleichenden Prozessen wie z. B. zunehmender Vereinsamung, Verlust von körperlichen Fähigkeiten oder das Nicht-Eintreten von normativen Ereignissen, z. B. der verpasste Umzug zu Beginn des Erwachsenenalters oder der Nicht-Eintritt in das Arbeitsleben nach der Schule [14]. Die Krisen können von starken Emotionen wie Angst und Ohnmacht begleitet werden, subjektive Theorien infrage stellen und die Lebensführung bzw. -qualität beeinträchtigen, weil z. B. das Bedürfnis nach Sicherheit nicht mehr gewährleistet ist. Sie gehen in der individuell erlebten Intensität über den im Alltag erlebten Stress hinaus [15]. Was für die einzelne Person eine krisenhafte Situation ist, ist individuell unterschiedlich und als Unterbrechung des gewohnten Lebens nicht nur negativ zu bewerten, sondern bietet auch die Möglichkeit für einen Neuanfang und birgt Entwicklungspotenzial in sich.

Konstante Phasen

Neben den Krisen gibt es die konstanten Phasen in einer Biografie. Diese konstanten Phasen in einem Leben zeichnen sich zum einen durch Alltagserlebnisse aus, welche zu Gewohnheiten und Routinen werden, und umfassen zum anderen auch herausstehende Lebensereignisse und -erlebnisse, wie Urlaubsreisen oder Feiern, welche in schöner Erinnerung bleiben und die Lebensgeschichte prägen. An dieser Stelle findet sich der Ansatzpunkt für Biografiearbeit, welche die Möglichkeit bietet, dass Krisen gedeutet und in die Biografie eingeordnet werden, um diese zu bewältigen [16]. Auf der anderen Seite nimmt Biografiearbeit aber auch die Routinen, Gewohnheiten und positiven Erinnerungen der Lebensgeschichte in den Blick, um Sicherheit zu gewährleisten und Ressourcen für die Zukunft aufzuzeigen.

Sensobiografie

Um Biografiearbeit auf der praktischen Ebene umsetzen zu können, können die verschiedenen Wahrnehmungskanäle angesprochen werden und Erinnerungen hervorrufen (z. B. mit olfaktorischen oder taktilen Reizen). Insbesondere beim Personenkreis der Menschen mit schwerer Behinderung kann alternativ auf eine körpernahe Biografiearbeit, in Auseinandersetzung mit der Sensobiografie, zurückgegriffen werden. Erinnerungen werden durch stimulierende Sinneseindrücke oder körperliche Aktivitäten, wie Bewegungen im Raum oder Tanzen, hervorgerufen. Bei dieser Form der Biografiearbeit bleibt es nicht bei der konkreten Erinnerungsarbeit, sondern die Erinnerungen werden in den Alltag eingebunden, um z. B. Angebote im Bereich der Pflege zu verbessern [17]. Auch der Einsatz verschiedener Aktivitäten bzw. Methoden (z. B. kreatives Arbeiten zu biografischen Themen oder das Aufsuchen biografisch relevanter Orte oder Personen) ermöglicht vielfältige Zugangswege und Umsetzungsmöglichkeiten der Biografiearbeit [18]. Weiterführende Hinweise zur (multisensoriellen) Gestaltung sind im Orientierungsplan → Biografie im Blick zu finden.

  • Biografien sind nicht die objektiven Lebensdaten, sondern die subjektive Deutung und Bewertung von Ereignissen und Erlebnissen in der Lebensgeschichte.
  • Biografien bestehen aus konstanten Phasen und Krisenzeiten. Krisen unterbrechen den Alltag, da die Herausforderungen der neuen Lebensumstände nicht zu den vorhandenen Fähigkeiten und Routinen passen. Zu den konstanten Phasen zählen die Erlebnisse im alltäglichen Leben, aber auch aus dem Alltag herausragende Ereignisse (z. B. Urlaubsreisen).
  • Biografiearbeit ist die strukturierte Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte anhand verschiedener Methoden und nicht an die Verwendung von Schrift- und Verbalsprache gebunden.

Welche Bedeutung hat Biografiearbeit für Menschen mit schwerer Behinderung?

Kommunikativen Austausch gewährleisten

Obwohl der Austausch über die eigene Biografie als ein menschliches Grundbedürfnis gilt und sowohl eng mit der Identitätsbildung als auch der Integration in das Lebensumfeld verbunden ist [19], ist dieser Austausch für Menschen mit schwerer Behinderung häufig erschwert. Ein möglicher Grund für die mangelnde Auseinandersetzung mit der Biografie von Menschen mit schwerer Behinderung ist, dass die Kommunikation erschwert ist bzw. diesem Personenkreis die notwendigen verbalen und kognitiven Kompetenzen für die Biografiearbeit, wie z. B. das Zeitbewusstsein, abgesprochen werden [20]. Somit wird häufig in der Akte dokumentiert, was gemacht wurde, aber nicht, wie die Person das fand oder was ihr Blick auf die täglichen Ereignisse ist [21]. Wenn Vorlieben, Abneigungen, aber auch Interessen nur unzureichend dokumentiert werden, kann es beim Wechsel der Mitarbeiter_innen zum Verlust dieser Informationen kommen.

Individuelle Präferenzen berücksichtigen

Ein weiterer Faktor ist, dass viele Menschen mit schwerer Behinderung in Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, arbeiten und ihre Freizeit verbringen, in denen viele Aspekte von institutionellen Rahmenbedingungen geprägt sind. So werden zum Beispiel viele Angebote und Aktivitäten in der Gruppe ausgeführt und es kann weniger auf die individuellen Vorstellungen und Präferenzen der einzelnen Person eingegangen werden. Die eigene Identität und Biografie rücken in den Hintergrund, während viele Aspekte, z. B. des Verhaltens, auf die Behinderung zurückgeführt werden [22].

Erweiterung der klassischen Biografiearbeit

Auch wenn sich das Leben von Menschen mit schwerer Behinderung durch Teilhabebarrieren vom Leben anderer Menschen unterscheidet, sollte beachtet werden, dass Menschen mit schwerer Behinderung im Laufe ihres Lebens viele Erfahrungen gesammelt haben und somit eine Zielgruppe für die Biografiearbeit sind [23]. Um Biografiearbeit für diesen Personenkreis zu ermöglichen, müssen einzelne Aspekte der traditionellen Biografiearbeit hinterfragt und die Biografiearbeit um verschiedene Annahmen, Methoden und Zugänge erweitert werden.

Erinnerungsspuren aktivieren

Zeit kann beispielsweise nicht nur kognitiv erfasst, sondern auch auf einer leiblichen Ebene erfahren werden, z. B. durch das Erleben von Zyklen und Ritualen oder die Wahrnehmung von Veränderungen, wodurch eine Biografiearbeit mit dem Personenkreis ermöglicht wird [24]. Schwierigkeiten beim Erinnern sollten nicht ausschließlich der schweren Behinderung zugeschrieben werden, sondern können ein Hinweis darauf sein, dass die Person nur selten die Chance erhalten hat, sich mit der Biografie auseinanderzusetzen [25]. Hinzu kommt, dass es für die weitere Auseinandersetzung mit der Biografie nicht zwingend notwendig ist, dass Erinnerungen bewusst reproduziert und verbalisiert werden können. Es wird davon ausgegangen, dass Erinnerungen im Menschen Spuren hinterlassen und somit alle Menschen Erinnerungen haben, unabhängig davon, ob sie diese bewusst abrufen oder kommunizieren können. Diese Erinnerungen werden in der Biografiearbeit aktiviert und genutzt, um den Beschäftigten z. B. in alltäglichen Pflegehandlungen eine Kontinuität aufzuzeigen. Weiterhin werden durch die Erinnerungsspuren der vergangenen Ereignisse bewusst und unbewusst Erwartungen, Wünsche oder Befürchtungen an die Zukunft geweckt [26]. Dafür ist es für die Beschäftigten jedoch notwendig, sich intensiv der Gegenwart zuzuwenden, um Erfahrungen zu schaffen, welche später die Vergangenheit bilden. Aus diesen Erfahrungen erwachsen gleichzeitig die Erwartungen an die Zukunft [27]. Dies kann z. B. durch Ausflüge geschehen, welche die Möglichkeit eröffnen, aus den alltäglichen, gleichbleibenden Räumen und ihrer Gegenwartsgebundenheit zu entkommen [28].

Zusammenfassend könnte man auch formulieren:

„Ohne Erlebnisse und Begegnungen, in welcher die Zeit geschieht, ist aber kein Zeiterleben möglich. [29]

Schritt für Schritt in die Zukunft [30]

Ausgehend davon bietet Biografiearbeit für den Personenkreis die Möglichkeit, sich unabhängig von den Kompetenzen mit der Lebensgeschichte auseinanderzusetzen, weil gerade nicht nur auf die Einordnung der objektiven Daten in den Lebenslauf abgezielt wird, sondern die subjektiven Aspekte wie z. B. Vorlieben in den Blick genommen werden [31]. Der Begriff der Biografiearbeit wird weiter gefasst und nicht nur als Reflexion vergangener Ereignisse verstanden, sondern auch als „Initiierung von offenen Lernprozessen, welche mit der Lebensgeschichte zusammenhängen“. [32]

Die praktische Umsetzung der Biografiearbeit an Arbeits- und Bildungsorten kann an verschiedene Ansätze anknüpfen und Menschen aus dem Umfeld einbeziehen, wie das folgende Fallbeispiel zeigt.

Herr Jahn hat nach dem Tod der Mutter den Arbeits- und Bildungsort gewechselt, da mit dem Tod der Mutter der Umzug in eine Wohneinrichtung verbunden war, welche vom alten Arbeits- und Bildungsort zu weit entfernt ist. Herr Jahn kann sich langsam selbständig fortbewegen, ist aber in der Nutzung seiner Hände eingeschränkt. Er beobachtet seine Umgebung intensiv, reagiert auf die Ansprache der Mitarbeiter_innen und lässt sich auf die Angebote derselben ein. Dabei handelt er jedoch selten aktiv und muss zur Mitarbeit motiviert werden. Da Herr Jahn nicht verbal kommuniziert und noch keine Kommunikationshilfe hat, kontaktieren die Mitarbeiter_innen seine Schwester, um mehr über die Interessen und das Leben von Herrn Jahn zu erfahren. Die Schwester willigt in den Termin ein und erzählt vom gemeinsamen Aufwachsen. Dabei kommt zutage, dass Herr Jahn bis zum 12. Lebensjahr nicht in der Stadt, sondern in einem kleinen Dorf auf einem Bauernhof gelebt hat. Als Kind durfte er sich dort frei bewegen und fühlte sich besonders zu den Tieren hingezogen, die er dann streichelte oder von denen er sich die Hände ablecken ließ. Der Vater wohnt immer noch auf dem Bauernhof, während die Mutter nach der Trennung mit den Kindern in die Stadt gezogen ist. In der Stadt durfte Herr Jahn sich nicht mehr frei bewegen und hielt sich hauptsächlich in der Wohnung auf, weil die Mutter Angst hatte, dass ihm etwas im Straßenverkehr passieren könnte. In der Wohnung wendete sich Herr Jahn besonders Gegenständen aus der Zeit vor dem Umzug zu und hantierte mit ihnen. Die Mitarbeiter_innen überlegen gemeinsam, welche biografischen Anknüpfungspunkte (z. B. Arbeit mit Tieren oder im Garten) sie in der Arbeit mit Herrn Jahn in Form von Ausflügen oder Angeboten in der Einrichtung aufgreifen können, um ihm mehr Eigenaktivität zu ermöglichen. Des Weiteren wird die Schwester gebeten, Fotos und noch vorhandene Gegenstände aus der Kindheit mitzubringen, welche mit Herrn Jahn betrachtet werden sollen.

Stellvertretende Biografiearbeit

Manchmal kann es, wie im Fallbeispiel, eine Herausforderung sein, Ansatzpunkte für die Biografiearbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung zu finden, insbesondere, wenn diese nicht verbal kommunizieren oder es zu Brüchen im Lebenslauf gekommen ist. Dann können, wie bei Herrn Jahn, noch vorhandene Familienmitglieder oder Bezugspersonen Ansprechpartner_innen sein. Wenn bei der Biografiearbeit auf Angehörige oder andere Bezugspersonen zurückgegriffen wird, bezeichnet man dies als stellvertretende Biografiearbeit.

Akteneinsicht

Alternativ können die Akten, Gutachten und andere vorhandene Dokumente in Bezug auf Vorlieben, Abneigungen, aber auch Gewohnheiten systematisch gelesen werden [33]. Sowohl bei der stellvertretenden Biografiearbeit als auch bei der Durchsicht der Dokumentationen ist auf deren Entstehungshintergrund bzw. Perspektive zu achten. Manchmal sagen die Dokumentationen mehr über die Mitarbeiter_innen und ihre Sichtweisen als über die beschriebene Person aus bzw. kann aufgrund der Sprache in der Dokumentation die individuelle Lebensgeschichte nicht nachgezeichnet, sondern nur auf allgemeine Aspekte verwiesen werden [34]. Dabei erfolgt die Aushandlung der Biografie nicht nur zwischen Angehörigen und Mitarbeiter_innen, sondern im zweiten Schritt werden die biografischen Eckpunkte den Beschäftigten vorgestellt bzw. offene Fragen zur Lebensgeschichte gestellt. Es werden keine Antworten von den Beschäftigten erwartet, aber auf diese Art und Weise kann Menschen mit schwerer Behinderung Anerkennung und Aufmerksamkeit für die Lebensgeschichte zuteilwerden. Zudem ist die Anwesenheit von Menschen mit schwerer Behinderung an den Sitzungen hilfreich, weil dies die Gesprächskultur verändert und den Respekt gegenüber den Beschäftigten bewahrt [35].

Individuelle Reaktionen auf krisenhafte Ereignisse

Das Fallbeispiel zeigt zudem, dass es auch bei Menschen mit schwerer Behinderung im Laufe des Lebens immer wieder zu Krisen kommt. Gründe für Krisen können beispielsweise der Wechsel der Wohnung oder Einrichtung sein oder ein Kontaktabbruch durch Krankheit, Umzug oder Tod einer nahestehenden Person. Dazu können neben Familienangehörigen auch Mitarbeiter_innen sowie andere Beschäftigte zählen. Aber auch kleine Veränderungen im Tagesablauf, der Lebensweise und der Aktivitäten können zu Krisen bei Menschen mit schwerer Behinderung führen, da diese nicht eingeordnet werden können bzw. Hilfslosigkeit aufgrund mangelnder Handlungskontrolle auslösen. Hinzu kommt, dass beim Personenkreis krisenhafte Ereignisse häufig zusammen auftreten. So kann beispielsweise der Tod eines Elternteils mit dem Umzug in eine Einrichtung und den Wechsel des Wohnortes und sozialen Umfeldes verbunden sein [36]. Dabei ist nicht nur die Bewertung, was eine Krise ist, sehr individuell, sondern auch die Reaktionen auf eine Krise, wie z. B. den Verlust einer Person aus dem nahen Umfeld, können sehr unterschiedlich sein. Wenn Menschen mit schwerer Behinderung beispielsweise Reaktionen wie Wutausbrüche oder Unruhezustände im Rahmen von Trauerprozessen zeigen, wird dies häufig nicht als Trauerreaktion erkannt und kann sowohl das Umfeld irritieren als auch zu Sanktionen durch das Umfeld führen [37]. In der Auseinandersetzung mit Krisen erfüllt Biografiearbeit für die Beschäftigten eine zweifache Funktion. Zum einen bettet sie Krisen in den Lebenslauf ein, verdeutlicht Zusammenhänge und zeigt Ressourcen auf, und zum anderen bereitet die Auseinandersetzung mit krisenhaften Ereignissen auf den Umgang mit neuen Krisen vor. Dabei umfasst Biografiearbeit nicht ausschließlich die Auseinandersetzung mit Krisen im Lebenslauf, sondern beinhaltet auch die Thematisierung von alltäglichen Gewohnheiten und Ereignissen.

  • Menschen mit schwerer Behinderung machen vielfältige Erfahrungen im Laufe ihres Lebens. Biografiearbeit setzt an diesen individuellen Erfahrungen an und kann aufgrund des großen Methodenspektrums von stellvertretender Biografiearbeit und Dokumentenanalyse bis zu körpernahen Aktivitäten mit allen Menschen durchgeführt werden.
  • Krisenhafte Ereignisse treten im Leben von Menschen mit schwerer Behinderung häufig zusammen auf. Die Einschätzung, was eine Krise ist, und die Reaktionen auf die Krise sind individuell unterschiedlich.

Welche Chancen und Herausforderungen ergeben sich daraus?

Durch die Umsetzung von Biografiearbeit ergeben sich in der Arbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung folgende Chancen:

Routinen und Gewohnheiten

  • Durch Biografiearbeit können Routinen und Gewohnheiten ermittelt werden, welche den Beschäftigten im Alltag Sicherheit vermitteln bzw. Missverständnisse vermeiden. Dies kann zur gesteigerten Lebensqualität der Beschäftigten beitragen und gleichzeitig die sichere Ausgangsbasis für neue Erfahrungen bilden [38].

Ressourcen und Fähigkeiten

  • Biografiearbeit richtet den Blick auf vorhandene Ressourcen und Fähigkeiten, welche im Laufe des Lebens erworben wurden. Biografische Informationen eröffnen den Mitarbeiter_innen die Möglichkeit, die Beschäftigten differenzierter wahrzunehmen. Nicht nur die schwere Behinderung steht im Vordergrund, sondern es kann auch beleuchtet werden, zu welchen anderen Gruppen die Person im Verlauf ihres Lebens dazugehört (z. B. Musikliebhaber_in, …) [39]. Mit dem Rollentausch rücken auch andere Facetten der Partizipation wie die Momente des Teil-Seins, des Teil-Nehmens und der Teil-Gabe neben der Teil-Habe in den Fokus. Nicht nur der Lebensweg bzw. die Lebensgeschichte, sondern auch das Lebenswerk finden Berücksichtigung [40]. Dies wiederum kann zu einer respekt- und verständnisvollen Haltung führen, welche die Beziehungsqualität zwischen Mitarbeiter_innen und Beschäftigten verbessert [41].

Personenzentriertes Arbeiten und Mitbestimmungsrecht

  • Nur wenn man sich der Lebenswelt und Lebensgeschichte von Menschen mit schwerer Behinderung zuwendet, können ihre individuellen Interessen und Wünsche ausreichend Berücksichtigung finden. Durch die biografische Rahmung werden personenzentriertes Arbeiten und das Recht auf Selbst- und Mitbestimmung ermöglicht [42]. Die Expert_innenrolle für die eigene Lebensgeschichte wird anerkannt.

Eigene Lebensgeschichte

  • Des Weiteren kann sich der Personenkreis mit den Erfahrungen des eigenen Lebens auseinandersetzen, um so ggf. Ressourcen, Stärken und Vorlieben zu erkennen oder Momente der Selbstwirksamkeit zu identifizieren. Diese eröffnen wiederum die Chance, dass die Beschäftigten Wünsche und Ziele für die Zukunft entwerfen [43]. Dabei sollen nicht nur die objektiven Ereignisse des Lebenslaufs eine Rolle spielen, sondern die subjektive Bedeutung dieser Ereignisse für den Personenkreis.

Individuelle Beschäftigung

  • Die Biografiearbeit bietet durch die Vielzahl an Methoden (z. B. stellvertretende Biografiearbeit, körpernahe und aktivitätsorientierte Biografiearbeit) und Settings (Gruppen- u. Einzelangebote) die Möglichkeit, individuell mit den Beschäftigten arbeiten zu können.

Einbezug von Angehörigen

  • Stellvertretende Biografiearbeit durch Angehörige kann nicht nur den Beschäftigten und Mitarbeiter_innen in Arbeits- und Bildungsorten zugutekommen, sondern auch den Angehörigen selbst, weil durch die Biografiearbeit unterdrückte Gefühle – z. B. dass man sich nicht mehr ausreichend um eine Person kümmert – bearbeitet und thematisiert werden können [44].

Folgende Herausforderungen stellen sich für Mitarbeiter_innen an Arbeits- und Bildungsorten bei der Umsetzung von Biografiearbeit:

Freiwillige Biografiearbeit

  • Es sollte reflektiert werden, warum die Biografiearbeit angestrebt wird. Das bedeutet, dass Biografiearbeit nicht von den Mitarbeiter_innen z. B. zur Klärung von herausfordernden Verhaltensweisen im Sinne der Rehistorisierenden Diagnostik zweckentfremdet wird [45]. Biografiearbeit beruht auch bei Menschen mit schwerer Behinderung auf dem Prinzip der Freiwilligkeit. Die Reaktionen der Beschäftigten während der Biografiearbeit sollten gut beobachtet werden, um diese zu spiegeln und ggf. die Biografiearbeit abbrechen zu können [46].

Stellvertretende Biografiearbeit

  • Während der Biografiearbeit werden sensible und private Aspekte der Biografie thematisiert, mit welchen sehr vorsichtig und vertrauensvoll umgegangen werden sollte. Im Falle der stellvertretenden Biografiearbeit sollte man sich fragen, ob die Beschäftigten die gleichen Ereignisse thematisieren würden wie z. B. die Angehörigen und die Bezugspersonen oder ob sie etwas verschweigen würden [47]. Des Weiteren sollte berücksichtigt werden, dass die stellvertretende Biografiearbeit immer nur einen begrenzten Zugang darstellt bzw. die Gefahr besteht, Ereignisse und Erinnerungsstücke auszuwählen, welche keinen biografischen Wert für die Person haben. Damit können Schwierigkeiten wie z. B. die Gefahr, bereits bestehende Vorurteile und Bilder über eine Person zu verfestigen oder bestehende Machtverhältnisse zu reproduzieren, auftreten [48].

Sensibler Umgang mit spezifischen Themen

  • Die Auseinandersetzung mit der Biografie erfordert einen sensiblen Umgang mit belastenden Themen (z. B. Gewalterfahrungen). So können z. B. ‚vergessene‘ bzw. verdrängte Anteile in der Biografiearbeit Thema werden. Diese Themen können zur emotionalen Überbelastung sowohl auf Seiten der Mitarbeiter_innen als auch der Beschäftigten führen [49].

Eigener Anteil der Beschäftigten

  • Biografiearbeit setzt sich auch mit der Frage auseinander, welchen eigenen Anteil die Beschäftigten an der Lebensgeschichte haben. Zum einen bildet dies die Chance, um sich als selbstwirksam zu erfahren. Auf der anderen Seite besteht aber auch die Gefahr, dass Gefühle der Hilfslosigkeit hervorgerufen werden, da das Leben durch institutionelle Umstände stark fremdbestimmt sein kann [50].

Was ist notwendig, damit Menschen mit schwerer Behinderung an kulturellen Angeboten partizipieren können?

Biografiearbeit erfordert von den Mitarbeiter_innen an Arbeits- und Bildungsorten vielfältige Fähigkeiten:

Personenzentriertes Arbeiten

  • Während der Biografiearbeit und der Zukunftsplanung ist das personenzentrierte Arbeiten (→ Theoretische Grundlagen: Selbstbestimmung und Personenzentrierung) immanent. In der Auseinandersetzung mit der eigenen Biografie und der Planung der Zukunft besteht eine gleichberechtigte Beziehung zwischen Beschäftigten und Mitarbeiter_innen. Die Beschäftigten werden in ihrer Individualität anerkannt und wertgeschätzt.

Offenheit

  • Damit einher geht die Offenheit der Mitarbeiter_innen gegenüber Veränderungen, welche durch die Biografiearbeit initiiert werden [51].

Kreativität

  • Biografiearbeit erfordert von den Mitarbeiter_innen Kreativität und vielfältige methodische Kenntnisse. Zum einen gibt es verschiedene Möglichkeiten (Erzählungen, Fotos, Kochrezepte etc.), um in die Biografiearbeit einzusteigen. Zum anderen sollte die Arbeit an der Biografie auch eine gewisse Offenheit haben, um die Expert_innenrolle der Beschäftigten zu stärken. Dabei ist es notwendig, ‚Umwege‘ zu nicht geplanten Themen zu nehmen und gleichzeitig nicht den roten Faden zu verlieren [52].

Methodische Kenntnisse & Empathie

  • Neben den methodischen Kompetenzen sollten die Mitarbeiter_innen in der Biografiearbeit empathisch und echt auftreten, um ein Vertrauensverhältnis für die Auseinandersetzung mit der Biografie zu schaffen. Dabei müssen die Mitarbeiter_innen damit rechnen, dass durch die Beschäftigten Fragen auch zu ihrer Biografie gestellt werden [53]. Der Lebensgeschichte der Beschäftigten sollten sie unvoreingenommen und mit echter Neugier entgegentreten [54]. Dabei gilt es auch Grenzen zu akzeptieren, da Biografiearbeit immer von Seiten der Beschäftigten freiwillig erfolgt. Das Prinzip der Freiwilligkeit gilt auch bei der stellvertretenden Biografiearbeit durch Familienangehörige und andere Bezugspersonen [55].

Reflexionsprozess

  • Die Mitarbeiter_innen müssen sich damit auseinandersetzen, welche Vorstellungen sie von Menschen mit schwerer Behinderung haben, da die Vorstellungen vom Subjekt bestimmen, unter welchem Blickwinkel die Biografie gesehen wird (aktive Gestaltung vs. ‚Erleiden‘ der Biografie) [56]. In diesem Reflexionsprozess ist es zudem notwendig, sich mit der eigenen Biografie und den eigenen biografischen Anteilen in der Arbeit auseinanderzusetzen.

Dokumentationsmöglichkeiten

  • Ein weiterer wichtiger Aspekt in der Biografiearbeit sind die Dokumentationsmöglichkeiten, damit die Ergebnisse der Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte nicht vergessen werden und Anknüpfungspunkte für zukünftige Angebote der Biografiearbeit bestehen [57].

Quellen

[1] Brenner 2013, S. 49 [2] vgl. Lindmeier 2004, S. 45; Ruhe 2003, S. 134 f. [3] vgl. Duden 2019 [4] vgl. Petzold 1999, S. 46 [5] vgl. Petzold 1999, S. 41/54 [6] Ruhe 2003, S. 134 [7] vgl. Lindmeier 2004, S. 18 [8] vgl. Miethe 2017, S. 136f.; Lindmeier 2004, S. 25 f. [9] vgl. Kistner 2018, S. 16 [10] vgl. Lindmeier 2004, S. 25; Brenner 2013, S. 72 [11] vgl. Kistner 2014, S. 157 [12] vgl. Blok 2015, S. 130 f. [13] vgl. Strumpf 2008, S. 12 [14] vgl. Filipp & Aymanns 2018, S. 46-49 [15] vgl. Filipp & Aymanns 2018, S. 27/31 [16] vgl. Strumpf 2008, S. 32; Filipp & Aymanns 2018, S. 31 ff. [17] vgl. Miethe 2017, S. 116/136; Lindmeier 2016, S. 58 [18] vgl. Lindmeier 2004, S. 32 [19] vgl. Ruhe 2003, S. 10 [20] vgl. Brenner 2013, S. 91; Miethe 2017, S. 134 [21] vgl. Fröhlich 1995; Strumpf 2008, S. 33 [22] vgl. Miethe 2017, S. 134 f. [23] vgl. Fischer 2012, S. 6 [24] vgl. Brenner 2013, S. 81/90 f. [25] vgl. Lindmeier 2004, S. 45 [26] vgl. Brenner 2013, S. 92 ff.; Brotbeck 2005, S. 13 [27] vgl. Brenner 2013, S. 95 f. [28] vgl. Radtke, zit. n. Brenner 2013, S. 96 f. [29] Brenner 2013, S. 100 f. [30] [1] Kistner 2014, S. 158 [31] vgl. Lindmeier 2004, S. 20f. [32] Brenner 2013, S. 21 [33] vgl. Lindmeier 2004, S. 125 f. [34] vgl. Bader 2012, S. 14; Brenner 2013, S. 124 ff. [35] vgl. Kistner 2018, 60 f.; Strumpf 2008, 61 f. [36] vgl. Strumpf 2008, S. 31 f. [37] vgl. Witt-Loers 2019, S. 20 f. [38] vgl. Lindmeier 2004, S. 26; Strumpf 2008, S. 55 [39] vgl. Strumpf 2008, S. 33 [40] vgl. Kistner 2014, S. 164 f. [41] vgl. Lindmeier 2004, S. 26; Strumpf 2008, S. 55 [42] vgl. Lindmeier 2004, S. 11 [43] vgl. Kistner 2018, S. 48 [44] vgl. Kuratorium Deutsche Altershilfe, Maciejewski et al., zit. n. Lindmeier 2015, S. 122 [45] vgl. Miethe 2017, S. 137 f.; Strumpf 2008, S. 36/55 [46] vgl. Kistner 2014, S. 166 f. [47] vgl. Strumpf 2008, S. 43/62 [48] vgl. Ruhe 2003, S. 138; Brenner 2013, S. 162 [49] vgl. Petzold 1999, S. 42; Lindmeier 2004, S. 29 [50] vgl. Lindmeier 2004, S. 16 [51] vgl. O’Brian & Lovett 2015, S. 21 ff. [52] vgl. Lindmeier 2004, S. 31 f. [53] vgl. Lindmeier 2004, S. 92 ff. [54] vgl. Ruhe 2003, S. 18 [55] vgl. Lindmeier 2004, S. 29; Strumpf 2008, S. 62 f. [56] vgl. Maaßen 1996, S. 23 [57] vgl. Lindmeier 2004, S. 89

Literatur

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Blok, N. (2015): Zukunftsplanung? Auch für Menschen mit Komplexer Behinderung im Alter! In: Maier-Michalitsch, N. & Grunick, G. (Hg.): Alternde Menschen mit Komplexer Behinderung. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, S. 130–139.

Brenner, G. (2013): Lebensgeschichte(n) entdecken und bewahren. Biografiearbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung. Würzburg: Edition Bentheim.

Brotbeck, S. (2005): Zukunft. Aspekte eines Rätsels. Dornach: Verlag am Goetheanum.

Duden (2019): Biografie, Biographie, die. [Zugriff am 03.01.2023]

Filipp, S.-H. & Aymanns, P. (2018). Kritische Lebensereignisse und Lebenskrisen. Vom Umgang mit den Schattenseiten des Lebens. Stuttgart: Kohlhammer.

Fischer, D. (2012): Lebensgeschichten verstehen. Biografiearbeit aus heilpädagogischer Sicht. In: Orientierung 3/2012, S. 4–7.

Fritsche, I. & Störmer, N. (1988): Sie haben alle eine Akte, aber keine Geschichte. Lebensgeschichten und Konzeptionen von Wohngruppen. In: Zur Orientierung 4/1988, S. 17–18.

Fröhlich, A. (1995): Leben ist einzigartig – biographische Aspekte schwerstbehinderter Menschen. In: Behindertenpädagogik in Bayern 1995, S. 117–129.

Kistner, H. (2014): Das eigene Leben studieren – vom Leben lernen. Biografiearbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung im Umfeld von Sterben, Tod und Trauer. In: Maier-Michalitsch, N. & Grunick, G. (Hg.): Leben bis zuletzt – Sterben, Tod und Trauer bei Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, S. 155–177.

Kistner, H. (2018): LebensWege – Biografiearbeit von Menschen mit Behinderung. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.

Lindmeier, B. (2004): Biografieorientierung im Rahmen der Enthospitalisierung geistig behinderter Menschen. In: Lindmeier, C. (Hg.): Biografiearbeit mit geistig behinderten Menschen. Ein Praxisbuch für Einzel- und Gruppenarbeit. Weinheim: Juventa, S. 119–131.

Lindmeier, C. (2015): Stellvertretende Biografiearbeit mit Menschen mit schweren Behinderungen im Alter – eine Annäherung. In: Maier-Michalitsch, N. & Grunick, G. (Hg.): Alternde Menschen mit Komplexer Behinderung. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, S. 119–129.

Lindmeier, C. (2016): Mit Menschen mit schweren und mehrfachen Beeinträchtigungen biografisch arbeiten – wie geht das? In: Bernasconi, T. & Böing, U. (Hg.): Schwere Behinderung & Inklusion. Facetten einer nicht ausgrenzenden Pädagogik. Oberhausen: Athena, S. 55–68.

Maaßen, B. (1996): Das Subjekt des biographischen Lernens. In: Schulz, W. (Hg.): Lebensgeschichten und Lernwege. Anregungen und Reflexionen zu biographischen Lernprozessen. Hohengehren: Schneider Verlag, S. 23–36.

Miethe, I. (2017): Biografiearbeit. Lehr- und Handbuch für Studium und Praxis. Weinheim: Beltz Juventa.

O’Brian, J. & Lovett, H. (2015): Auf dem Weg zum Alltagsleben – der Beitrag personenzentrierter Planung. In: Kruschel, R. & Hinz, A. (Hg.): Zukunftsplanung als Schlüsselelement von Inklusion. Praxis und Theorie personenzentrierter Planung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 19–34.

Petzold, H. G. (1999): Lebensgeschichten verstehen lernen heißt, sich selbst und andere verstehen lernen – Über Biographiearbeit, traumatische Belastungen und Neuorientierung. In: Behinderte 6/99, S. 41–62. [Zugriff am 03.01.2023]

Ruhe, H. G. (2003): Methoden der Biografiearbeit. Lebenspuren entdecken und verstehen. Weinheim: Beltz Juventa.

Strumpf, S. (2008): Lebensgeschichten (be)greifbar machen. Biografiearbeit mit Menschen mit schwerer geistiger Behinderung. Saarbrücken: VDM Verlag Dr. Müller.

Witt-Loers, S. (2019): Trauernde Menschen mit geistiger Behinderung begleiten. Orientierungshilfe für Bezugspersonen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

siehe auch

 

im Orientierungsplan: Biografie in den Blick nehmen

IMPULSFRAGEN & REFLEXIONSÜBUNGEN

  • Was wissen Sie über die Biografie der Beschäftigten?
  • Woher haben Sie Informationen aus dem Leben der Beschäftigten? Welche Ausschnitte der Biografie lassen sich damit beleuchten?
  • In welchen Situationen kann es wichtig sein, etwas über die Biografie der Beschäftigten zu wissen? Für wen sind diese Informationen wichtig?
  • Welche Rolle spielt Biografiearbeit in ihrer Einrichtung?
  • Wie kann Biografiearbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung aussehen?
  • An welchen Stellen machen sich von den Beschäftigten erlebte Krisen bemerkbar?
  • Inwiefern haben sich die Biografien von Beschäftigten im Laufe Ihrer Berufstätigkeit verändert?
  • Wie verändert sich Ihre Arbeit dadurch?
  • Listen Sie wichtige Personen Ihres Erwachsenenlebens auf.
  • Wählen Sie eine(n) Beschäftigte(n) Ihrer Gruppe aus, den Sie gut kennen. Versuchen Sie eine solche Auflistung auch für den Beschäftigten zu erstellen.
  • Vergleichen Sie. Was sind zentrale Unterschiede und Gemeinsamkeiten?
  • Worin könnten die Unterschiede begründet sein? Inwiefern sind hier Veränderungen denkbar.

Frau Lehmann ist Mitte 50 und bereits lange Zeit im Arbeits- und Bildungsort beschäftigt. Sie kann einzelne Worte sprechen und kommuniziert viel über ihre Mimik und Gestik. Wenn man ihr Symbole oder Fotos anbietet, kann sie diese verstehen, wenn sie nicht zu komplex sind. Wenn man sich die Dokumentation anschaut und die Mitarbeiter_innen des Arbeits- und Bildungsortes befragt, stellt man fest, dass Frau Lehmann bereits in verschiedenen Gruppen am Arbeits- und Bildungsort gearbeitet hat. Sie ist offen für neue Tätigkeiten und wenn ihr eine Tätigkeit gefällt, schaut sie interessiert zu und versucht nach kurzer Zeit die Tätigkeit zu imitieren. Ihr scheinen insbesondere der Kontakt zu den Mitarbeiter_innen und ihr bekannten Beschäftigten bei der Arbeit wichtig zu sein.

Über ihre Biografie sind nur vereinzelte Details bekannt, da sie keine nahen Angehörigen hat und nur wenig Austausch mit der Wohneinrichtung besteht. Daraufhin wird die gesetzliche Betreuung kontaktiert, welche über die Biografie auch nur bekannte Eckdaten benennt. Mit der Erlaubnis der gesetzlichen Betreuung wird die Wohneinrichtung kontaktiert. Die Mitarbeiter_innen in der Wohneinrichtung machen Angaben über Vorlieben im Bereich Freizeit, aber auch über Gewohnheiten und Routinen. Des Weiteren hat Frau Lehmann einzelnen Mitarbeiter_innen alte Fotos und Gegenstände gezeigt, welche sie mit in die Wohneinrichtung gebracht hat.

Sie sollen ein Angebot zur Biografiearbeit gestalten.

  • Mit welchen Lebensthemen/-abschnitten würden Sie in der Biografiearbeit mit Frau Lehmann beginnen?
  • Auf welche Materialien oder Methoden würden Sie zurückgreifen?
  • Wie sollte die erste Sitzung gestaltet werden, damit Frau Lehmann weiß, wie die Biografiearbeit abläuft und worum es bei der Biografiearbeit geht?
Icon für Materialien

(weiterführende) MATERIALIEN

Belot, M. (2018): Projekt: Mein Leben – individuelle Planung der Begleitung für Personen mit schwerer Behinderung. [1. Auflage]. Hg. v. Andreas Fröhlich und Thérèse Musitelli. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.
Demmer, Ch. (2016): Biografische Zugänge. In: Hedderich, I/ Biewer, G.; Hollenweger, J.; Markowetz, R. (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 655-660.
Dittli, D.; Furrer, H. (1994): Biografisches Lernen: Sein ist Werden. In: Erwachsenenbildung und Behinderung. 5 (1), S. 9-12.
Doose, S. (2011): Persönliche Zukunftsplanung in der beruflichen Orientierung für Menschen mit schwerer und mehrfacher Behinderung. In: Leben mit Behinderung (Hg.): Ich kann mehr! Berufliche Bildung für Menschen mit schweren Behinderungen. Hamburg: 53°nord Agentur und Verlag, 93-111.
Doose, St. (2020): „I want my dream!” Persönliche Zukunftsplanung. Neue Perspektiven und Methoden einer personenzentrierten Planung mit Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen. Aktualisierte, 11. Aufl. Neu-Ulm: AG SPAK Bücher.
Doose, Stefan (2012): Zukunft gestalten – Hilfe planen. Methoden einer individuellen Hilfe- und Persönlichen Zukunftsplanung. In: Maier-Michalitsch, N.; Grunick, G. (Hg.): Wohnen. Erwachsen werden und Zukunft gestalten mit schwerer Behinderung. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, S. 53-71.
Emrich, C.; Gromann, P.; Niehoff, U. (2012): Gut Leben. Persönliche Zukunftsplanung realisieren – ein Instrument. 3. Auflage Marburg: Lebenshilfe-Verlag.
Ern, M. (1993): Bewahrte Erinnerungen – erfülltes Alter. In Bundesvereinigung Lebenshilfe (Hg.): Alt und geistig behindert. Marburg: Lebenshilfe-Verlag, S. 219-229.
Eymann, A. (1999): Biographiearbeit mit erwachsenen Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen. In: Erwachsenenbildung und Behinderung 11 (1), S. 18-20.
Fröhlich, A. (1995): Leben ist einzigartig – biographische Aspekte schwerstbehinderter Menschen. In: VERBAND EVANGELISCHER EINRICHTUNGEN FÜR DIE REHABILITATION BEHINDERTER E.V. (Hg.): Das JA zum Leben – ein Leben lang. Stuttgart.
Göbel, S.; Ströbl, J. (2006): Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können. In: Lebenshilfe (Hg.): Schwere Behinderung – eine Aufgabe für die Gesellschaft! Teilhabe von Menschen mit schweren Behinderungen als Herausforderung für Praxis, Wissenschaft und Politik/ ein Reader mit Beiträgen vom Kongress der Lebenshilfe „Wir gehören dazu!“ am 22.-24. September 2005 in Magdeburg. Marburg: Lebenshilfe Verlag, S. 213-216.
Hewitt, H. (2000): A life story approach for people with profound learning disabilities. In: British Journal of Nursing. 9 (2), S. 90-95.
Hinz, A.; Kruschel, R. (Hg.) (2013): Bürgerzentrierte Planungsprozesse in Unterstützerkreisen. Praxishandbuch Zukunftsfeste. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben.
Hölzle, Ch. (2010): Gegenstand und Funktion von Biografiearbeit im Kontext Sozialer Arbeit. In: Hölzle, Ch.; Jansen, I. (Hg.): Ressourcenorientierte Biografiearbeit. Grundlagen – Zielgruppen – Kreative Methoden. 2, durchges. Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 31-54.
Jantzen, W.; Lanwer-Koppelin, W. (Hg.) (2011): Diagnostik als Rehistorisierung. Berlin: Lehmanns Media.
Kistner, H. (2014): Das eigene Leben studieren – vom Leben lernen. Biografiearbeit mit Menschen mit schwerer Behinderung im Umfeld von Sterben, Tod und Trauer. In: Maier-Michalitsch, N.; Grunick, G. (Hg.): Leben bis zuletzt – Sterben, Tod und Trauer bei Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderung. Leben pur. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, S. 155-177.
Kruschel, R.; Hinz, A. (2015): Zukunftsplanung als Schlüsselelement von Inklusion: Praxis und Theorie personenzentrierter Planung. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Lindmeier, B.; Oermann, L. (2017): Biographiearbeit mit behinderten Menschen im Alter. Weinheim: Beltz Juventa.
Lindmeier, B.; Oermann, L. (Hg.) (2014): Mein Lebensbuch. Was für mich und andere wichtig ist. Karlsruhe: Von-Loeper-Literaturverlag.
Lindmeier, B.; Stahlhut, H.; Oermann, L.; Kammann, C. (2018): Biografiearbeit mit einem Lebensbuch. Ein Praxisbuch für die Arbeit mit erwachsenen Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung und ihren Familien. Weinheim: Beltz Juventa.
Lindmeier, Ch. (2013): Biografiearbeit mit geistig behinderten Menschen. Ein Praxisbuch für Einzel- und Gruppenarbeit. 4. Aufl., Weinheim/ Basel: Beltz Juventa.
McCormack, N. (2020): A trip to the Caves. Making life story work inclusive and accessible. In: Nind, M.; Strnadova, I. (Hg.): Belonging for People with Profound Intellectual and Multiple Disabilities. Pushing the Boundaries of Inclusion. New York/ London: Routledge, S. 98-112.
Middleton, D.; Hewitt, H. (1999): Remembering as Social Practice: Identity and Life Story Work in Transitions of Care for People with Profound Learning Disabilities. In: Narrative Inquiry 9 (1), S. 97-121.
Niehoff, U. (2016): Persönliche Zukunftsplanung. In: Hedderich, I.; Biewer, G.; Hollenweger, J.; Markowetz, R. (Hg.): Handbuch Inklusion und Sonderpädagogik. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 522-527.
Senckel, B. (2019): Im Spannungsfeld von Lebensalter und Entwicklungsalter. In: Mohr, L.; Zündel, M.; Fröhlich, A. (Hg.): Basale Stimulation. Das Handbuch. 1. Auflage. Bern: Hogrefe, S. 537-551.
Woldrich, A.; Pohl, M. (2012): Zukunftsfeste mit Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen. In: Maier-Michalitsch, N.; Grunick, G. (Hg.): Wohnen. Erwachsen werden und Zukunft gestalten mit schwerer Behinderung. Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes leben, S. 72-87.