Entscheidung treffen im Beirat

KONKRETISIERUNG  ·  Entscheidung treffen im Beirat

SACHASPEKTE UND POTENTIAL

Zentrale Merkmale politischer Partizipation sind, dass die eigene Meinung in einer Gruppe gehört wird und Möglichkeiten zur Mitentscheidung und Mitbestimmung bestehen. Ähnlich dem Werkstattbeirat bietet ein Beirat der Beschäftigten an Arbeits- und Bildungsorten die Struktur, um die Interessen der Beschäftigten gruppenübergreifend zu vertreten. Die Rechte und Aufgaben des Beirats sollten dabei in einer gemeinsam erstellten und in Leichter Sprache formulierten Satzung festgehalten werden. Auch die Anzahl der Mitglieder im Beirat wird in der Satzung geregelt (z. B. 6–8 Mitglieder).

Schwerpunkte der Arbeit des Beirats können z. B. sein:

  • Weiterentwicklung von Angeboten oder neuen Produkten
  • Evaluation der Zufriedenheit der Beschäftigten
  • Organisation von Festen oder Ausflügen
  • Beteiligung an Personalauswahlverfahren
  • Mitspracherecht bei baulichen Veränderungen in der Einrichtung
  • Vorbereitung der Vollversammlung
  • Begrüßung und Durchführung von Hospitationen am Arbeits- und Bildungsort
  • Informationsaustausch zu weiteren politischen Themen
  • Überprüfung der angeregten Erneuerungen und Veränderungen
  • Zusammenarbeit mit dem Werkstatt-Beirat oder Beiräten von anderen Arbeits- und Bildungsorten
  • Teilnahme an weiteren Entscheidungsgremien (z. B. Teilhabebeirat im Ort)

Um die oft sehr hohen sprachlichen und inhaltlichen Barrieren für die Beschäftigten beim Austausch in einer Gruppe zu verringern, ist es notwendig, dass bei der Arbeit im Beirat auch Formen der Unterstützten Kommunikation und Leichte Sprache genutzt werden. Es können z. B. einzelne Beiträge im Vorfeld der Sitzung vorbereitet werden oder zum besseren Verständnis Bilder und Fotos zu den Themen eingesetzt werden.

Aufgabe der Mitarbeiter_innen ist es, die Arbeit des Beirats, u. a. den Ablauf der einzelnen Sitzungen, assistierend zu unterstützen. Barrieren in der Kommunikation und im inhaltlichen Verständnis sind dabei vorauszusehen und abzubauen. Gegebenenfalls sind auch stellvertretend die Positionen einzelner Mitglieder in der Gruppe wiederzugeben. Nur so kann es gelingen, dass sich bei Entscheidungen im Beirat alle Mitglieder einbringen können.

Die Arbeit mit Tablets (z. B. für Videoanrufe, Sprach- und Bildnachrichten, E-Mails) kann die Zusammenarbeit der Mitglieder untereinander oder mit anderen Beiräten unterstützen. Spezifische Fortbildungen hierzu oder zu anderen Themen sowohl für die gewählten Mitglieder als auch für ihre Assistent_innen können die Arbeit im Selbstvertretungsgremium stärken.

Ziel ist es insbesondere durch die Arbeit in einem Beirat, dass auch Menschen mit schwerer Behinderung die Wirksamkeit von partizipativem Engagement erfahren.

IMPULSFRAGEN

Welche individuellen und gruppenbezogenen Möglichkeiten zur Mitbestimmung bestehen bisher für die Beschäftigten (z. B. bei der Gestaltung von Angeboten)?

Wie kann dieser Entscheidungsrahmen noch erweitert werden (z. B. hinsichtlich der Wahl der Angebote, Arbeitszeit, Ausflüge)?

Gibt es bereits Kontakte zu anderen Selbstvertretungsgremien (z. B. zum Werkstattbeirat, zum Beirat in der Wohnstätte) oder könnten diese aufgebaut werden?

Wie wird der Informationsfluss am Arbeits- und Bildungsort gesichert (z. B. bei der Einstellung neuer Mitarbeiter_innen)? Sind wichtige Informationen z. B. auch in Leichter Sprache, in bildlicher Darstellung oder als Audiodatei verfügbar?

DIFFERENZIERUNG
  • Körperspannung ggf. als emotionales Erleben erklären und z. B. als Zustimmung oder Ablehnung deuten („Ich merke, Sie sind angespannt. Vielleicht liegt das an …“)
  • mit Hilfe von Handführung ggf. verschiedene Gegenstände zu den einzelnen Themen erkunden
  • Lichtverhältnisse im Raum beachten, Blendung vermeiden
  • Bilder mit klaren Umrissen oder starken Kontrasten nutzen
  • Bilder und Texte in Leichter Sprache vergrößern
  • akustische Signale (z. B. Glocke) nutzen, um eine Abstimmung oder einzelne Tagungspunkte anzukündigen
  • wichtige Informationen aufnehmen zum wiederholten Anhören
  • beim Zuhören auf eine bequeme Position und körpereigene Signale der Aufmerksamkeit achten (z. B. Kopfhaltung, körperliche An- oder Entspannung)
  • zum Sprechen in der Gruppe ggf. Mikrofon oder elektronische Sprachausgabe nutzen
  • Tagesordnung visualisieren
  • Bilder und Videos zu den besprochenen Themen einsetzen (z. B. Bewerbungsvideos neuer Mitarbeiter_innen)
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • Mitarbeit im Beirat auch ablehnen können
  • Raum lassen, um auch auf den ersten Blick abwegige Wünsche und Interessen zu äußern und zu diskutieren
  • Möglichkeiten zur weiteren eigenen Recherche und Auseinandersetzung mit einzelnen Themen eröffnen (z. B. im Internet recherchieren, Fachleute befragen, Thema der Sitzung vor- oder nachbereiten)
  • Arbeit mit dem „Index für Partizipation“, um Bereiche der Mitbestimmung in der Einrichtung zu erweitern (z. B. Einbezug des Beirats bei Personalentscheidungen, bei baulichen Maßnahmen)
  • nach Annahme der Wahl zum Beirat: Verbindlichkeit hinsichtlich der regelmäßigen Teilnahme an den Beiratssitzungen einfordern
  • bei der eigenverantwortlichen Vorbereitung und Durchführung der Beiratssitzung ggf. unterstützen
  • Stimmenthaltung, Ablehnung oder geringes Interesse gegenüber einzelnen Vorschlägen und Themen akzeptieren
  • Orientierung über den Ablauf der Beiratssitzung geben z. B. mit Bild- oder Symbolkarten oder einem akustischen Signal (z. B. Sitzung einläuten)
  • Themen nicht ausschließlich in der gesamten Gruppe, sondern im Dialog oder in kleineren Gruppen (vorab) besprechen (multimodale Kommunikationsmittel nutzen)
  • auf individuelle Ausdrucksformen und Impulse der Beschäftigten reagieren, diese unterstützen und anregen
  • Möglichkeiten der digitalen Kommunikation nutzen (Sprachnachrichten aufnehmen, Videoanruf, Bilder verschicken)
  • Kontakt zu anderen Beiräten aufbauen und pflegen (z. B. zu Beiräten anderer Arbeits- und Bildungsorte, zum Werkstattbeirat oder zum Beirat der Wohnstätte)
  • anstehende Aufgaben im Team der Mitarbeiter_innen besprechen und verteilen (z. B. Unterstützung beim Leiten oder Protokollieren der Beiratssitzung, stellvertretendes Sprechen)
  • eine angenehme Arbeitsatmosphäre im Beirat unterstützen (z. B. durch Bereitstellung von Getränken und Snacks, angenehmes Raumklima)
  • ggf. sensibel auf den Unmut einzelner Mitglieder eingehen, wenn ihr Vorschlag bei Abstimmungen keine Mehrheit findet
  • keine Themen und Anliegen dem Beirat ‚überhelfen‘
  • ggf. zusätzliche individuelle Pausen oder eine nur phasenweise Teilnahme am Beirat ermöglichen
  • sich als Teil einer Gruppe erleben können, die gemeinsam Entscheidungen trifft
  • Sicherheit gewinnen bei der Durchführung von Abstimmungen; z. B. zwischen einzelnen Kandidat_innen oder zwei Vorschlägen (mit Unterstützung) wählen können
  • sich als Vertreter_in der Beschäftigten erleben, z. B. bei Präsentationen des Arbeits- und Bildungsortes für Besucher oder auf Messen
  • Selbstwirksamkeit erleben durch das Umsetzen von Beschlüssen oder Vorschlägen des Beirats am Arbeits- und Bildungsort
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • der Beirat
  • die Wahl
  • das Ziel
  • die Sitzung
  • die Tagesordnung
  • das Protokoll
  • der Kompromiss
  • das Ergebnis
  • leiten
  • entscheiden
  • wählen
  • abstimmen
  • kandidieren
  • beschließen
  • zusammenarbeiten
  • jetzt
  • heute
  • später
  • das nächste Mal
  • Ich möchte (nicht), dass …
  • Meine Meinung ist, dass …
  • Ich stimme (nicht) zu. Ich bin (nicht) einverstanden.
  • Wer ist dafür? Wer ist dagegen?
BEISPIELPLANUNG

Damit Beschäftigte an Arbeits- und Bildungsorten die Arbeit in einem Selbstvertretungsgremium überhaupt erst einmal kennenlernen können, kann es sinnvoll sein, dass ein Beirat zunächst nicht durch Wahl, sondern durch Ernennung von Mitgliedern gegründet wird. Es werden dann später in regelmäßigen Abständen Wahlen durchgeführt.

Für die Arbeit des Beirats der Beschäftigten werden gemeinsam Ziele bzw. Meilensteine festgelegt. Dabei sollte auch geklärt werden, wie die Arbeit des Beirats bzw. einzelne Mitglieder durch Mitarbeiter_innen unterstützt werden.

Damit eine gute Zusammenarbeit im Beirat stattfinden kann, sollten sich die Mitglieder näher kennenlernen und wissen, wie sie miteinander ins Gespräch kommen können. Es könnte hilfreich sein, die Beiratsarbeit mit einer gemeinsamen ein- oder mehrtägigen Fortbildung zur Kommunikation und Kontaktaufnahme untereinander zu beginnen.

Im Vorfeld einer Beiratssitzung werden die anstehenden Tagesordnungspunkte mitgeteilt, um ggf. eine längere Vorbereitung auf einzelne Themen zu ermöglichen. Auch inhaltliche Beiträge einzelner Beschäftigter können im Vorfeld (mit Unterstützung) erstellt werden.

Vor Beginn der Sitzung wird der Raum so vorbereitet, dass alle gut einander und ggf. eine Präsentation sehen können. Auch die Snacks für die Pause werden vorbereitet.

Der Beginn der Beiratssitzung erfolgt ritualisiert, die Sitzung wird durch die Leitung eingeläutet. Ein Mitglied führt die Anwesenheitsliste. Es wird festgelegt, wer (mit Unterstützung) das Protokoll der Sitzung führt. Hierfür kann auch ein Aufnahmegerät eingeschaltet werden, um im Nachhinein das Verfassen des Protokolls zu erleichtern.

Um den Austausch unter den Beschäftigten zu unterstützen, kann das Thema der ersten Gesprächsrunde die aktuelle Stimmung der einzelnen Mitglieder sein (z. B. „Mir geht es gut / nicht gut. Ich habe mich über … gefreut / geärgert“). Anschließend wird die Tagesordnung vorgestellt. Bilder oder Stichpunkte zu den einzelnen Themen können an einem Whiteboard angebracht und sukzessive abgehakt werden.

Ein immer wieder ähnlicher Aufbau der Beiratssitzung hilft bei der inhaltlichen Orientierung. Die einzelnen Gesprächsthemen (z. B. Planung einer Umfrage unter den Beschäftigten, Abstimmung über ein Ausflugsziel, Rückmeldung zu einer neuen Mitarbeiterin) sollten zusätzlich visualisiert werden. Es kann auch notwendig sein, dass einzelne Themen zunächst zu zweit oder zu dritt besprochen und dann erst in der großen Runde diskutiert werden.

Wichtig ist es, nicht zu viele verschiedene Themen in einer Beiratssitzung anzuschneiden, sondern eher wenige Themen intensiver zu besprechen. Eine möglicherweise deutlich verlangsamte Kommunikation, z. B. durch den Einbezug von Talkern, ist zu berücksichtigen.

Es ist sinnvoll, in der Mitte der Beiratssitzung oder nach Abschluss eine kleine gemeinsame Snack-Pause durchzuführen. Diese dient zum einen zur Entspannung nach Phasen des konzentrierten Zuhörens und Kommunizierens, zum anderen bietet sie die Möglichkeit, in kleineren Gruppen engere Kontakte zu knüpfen.

Zum Abschluss werden die Ergebnisse der Sitzung noch einmal zusammengefasst und ein Ausblick auf die nächste Sitzung gegeben. Es werden die Themen der nächsten Sitzung festgelegt und auch bestimmt, wer die Einladung schreiben wird.

Außerdem wird geklärt, wie die im Beirat besprochenen Themen den anderen Beschäftigten am Arbeits- und Bildungsort mitgeteilt werden (z. B. Aushang, Sprach- oder Videonachricht, mündliche Mitteilung in den Gruppen).

Der Beirat sollte in regelmäßigen Abständen tagen (z. B. alle 4 Wochen). Um die Arbeit eines Beirates kennenzulernen, könnte es sinnvoll sein, zunächst in kürzeren Abständen zu tagen.