Virtuelles Kulturhaus

  • Forschende Person(en): Prof.in Dr. Teresa Sansour, Prof. i.R. Dr. Wolfgang Lamers
  • Institution(en)/Hochschule(n): Carl von Ossietzky Universität Oldenburg in Kooperation mit dem ‚Netzwerk komplexe Behinderung‘ (NekoB e.V.)
  • Finanzierung: Friedrich Stiftung
  • Projektlaufzeit: 01.02.2023 – 31.01.2024

Das Projekt „Virtuelles Kulturhaus“ will einen Beitrag zur kulturellen Teilhabe von erwachsenen Menschen mit komplexer Behinderung leisten, indem es systematisch nationale und internationale Beispiele guter kultureller Praxis für und mit diesem Personenkreis identifiziert, analysiert, aufbereitet und über das Webportal ‚Qualitätsoffensive Teilhabe‘ einer breiten Praxis zugänglich macht.

Obwohl die Bundesrepublik Deutschland mittlerweile über ein ausgebautes, differenziertes und abgesichertes Netz an Hilfen für Menschen mit Behinderungen verfügt, gibt es nach wie vor einen Personenkreis, dessen Interessen und Bedürfnisse auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu wenig Berücksichtigung finden: Menschen mit komplexer Behinderung, die aufgrund ihrer besonderen Beeinträchtigungen häufig am Rande der Gesellschaft stehen und deren Teilhabe in zentralen gesellschaftlichen und kulturellen Bereichen gefährdet ist.

Auch wenn die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in Artikel 30 diesem Personenkreis ausdrücklich das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe am kulturellen Leben einräumt und sich die Vertragsstaaten mit der Unterzeichnung zusätzlich verpflichten,

  • geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu kulturellem Material wie Fernsehsendungen, Filmen, Theatervorstellungen und anderen kulturellen Aktivitäten in zugänglichen Formaten
  • sowie den Zugang zu Orten kultureller Darbietungen oder Dienstleistungen zu gewährleisten und
  • Menschen mit Behinderungen in die Lage zu versetzen, ihr kreatives, künstlerisches und intellektuelles Potenzial zu entwickeln und zu nutzen,

zeigt jedoch eine genauere Analyse, dass es in der Gesellschaft, in der Fachwissenschaft, in den Kulturinstitutionen und in der breiten Praxis Leerstellen in Bezug auf die Teilhabe von Menschen mit komplexer Behinderung am kulturellen Leben gibt. Mitarbeiter:innen in Einrichtungen der Behindertenhilfe können bisher weder in der Praxis noch im Bereich der Fachwissenschaft auf fundierte Konzepte zurückgreifen, die als Orientierung für die Planung und Gestaltung subjektiv sinnstiftender kultureller Angebote dienen und den Mitarbeiter:innen für die konkrete praktische Arbeit inhaltliche und methodische Impulse für die Gestaltung von Angeboten geben könnten.

Hier setzt das beantragte Projekt ‚Virtuelles Kulturhaus‘ an. Ausgehend von einem Kulturverständnis

  • das im engeren Sinne (aber nicht ausschließlich) vor allem auf ästhetisch-künstlerische Praxis fokussiert,
  • zwischen aktiven, rezeptiven und reflexiven Prozessen unterscheidet
  • sich einer gesellschaftlichen Verwertungslogik entzieht und
  • persönlichkeitsbildende Prozesse in den Mittelpunkt stellt,

sollen Beispiele guter kultureller Praxis für und von Menschen mit komplexer Behinderung aufgezeigt werden, die barrierefrei, altersadäquat, personenzentriert und bedürfnisorientiert sowie methodisch vielfältig sind und dabei berücksichtigen, dass auch basale Aneignungswege und insbesondere vielfältige Wahrnehmungsmöglichkeiten einbezogen werden. Barrierefreiheit umfasst dabei nicht nur die ‚räumliche Zugänglichkeit‘, sondern vor allem auch die ‚inhaltliche Zugänglichkeit‘, die gerade bei abstrakten und komplexen kulturellen Themen und Handlungsfeldern eine besondere Gestaltungsherausforderung für Menschen mit komplexer Behinderung darstellt.

Das ‚Virtuelle Kulturhaus‘ soll dazu beitragen, dass Menschen mit komplexer Behinderung nicht in ‚kulturellen Sonderwelten‘ leben. Es sollen (Frei-)Räume für eine umfassende kulturelle Teilhabe aufgezeigt werden, die einerseits kulturelle Aktivitäten und ästhetische Erfahrungen innerhalb der Einrichtungen unterstützen, andererseits aber auch Räume und Kultureinrichtungen außerhalb eine wichtige Rolle spielen, z.B. durch Kooperationen mit unterschiedlichen Kultureinrichtungen wie Museen, Theatern, Musikschulen, Literaturhäusern, Bibliotheken … oder auch mit Künstler:innen und anderen gesellschaftlichen Akteur:innen. Gerade dieser Aspekt ist im Hinblick auf die Öffnung der Einrichtungen für Menschen mit komplexer Behinderung in den kulturellen Raum der Gesellschaft von besonderer Bedeutung.

Das Projekt ‚Virtuelles Kulturhaus‘ soll Fachkräften in Einrichtungen, aber auch gesellschaftlichen Akteuren im Kulturbereich inhaltliche und methodische Impulse für die Gestaltung von Kulturangeboten für Menschen mit komplexer Behinderung geben und sie in verständlicher Weise dabei unterstützen, die kulturellen Teilhabemöglichkeiten dieses Personenkreises zu verbessern und weiterzuentwickeln.

Das ‚Virtuelle Kulturhaus‘ wird verschiedene ‚Kulturräume‘ mit konkreten Kulturprojekten vorstellen, die in der behindertenpädagogischen Praxis und in der ‚Kulturszene‘ nicht/kaum bekannt sind.

Die einzelnen Kulturräume sollen Möglichkeiten aufzeigen, wie Menschen mit komplexer Behinderung

  • sich in aktiven Prozessen handelnd und selbsttätig mit den verschiedenen Kulturbereichen auseinandersetzen,
  • in rezeptiven Prozessen kulturelle Praxis erfahren, genießen und erleben und
  • sich in reflexiven Prozessen über Kunst und Kultur austauschen können (z.B. über die Wirkung von Musik, das ‚Gespräch‘ über künstlerische Arbeiten in einer Ausstellung).

Um dieses Ziel zu erreichen, sollen national und vor allem international Beispiele guter kultureller Praxis (Leuchttürme) für die kulturelle Teilhabe von Menschen mit komplexer Behinderung gesammelt, ausgewertet und illustriert werden.