Herstellung von recycelten Papierkarten

KONKRETISIERUNG  ·  Herstellung von recycelten Papierkarten *

Anja Heß – Sozialwerk Breisgau gGmbH

In diesem Angebot soll es für die beteiligten Menschen darum gehen, so selbstständig und umfassend wie möglich an der Herstellung von recycelten Papierkarten sowie Umschlägen mitzuwirken. Ziel ist, von der Herstellung der Pulpe bis zur fertig verpackten Karte so viele Arbeitsschritte wie möglich durchzuführen, mit zu erleben oder zu gestalten.

Sachaspekte und Potential

Um dieses Arbeitsangebot durchzuführen, benötigen die Mitarbeitenden unterschiedlichste Materialien. Der Raum, in dem Papierverarbeitung stattfindet, sollte einen Boden haben, der mit Feuchtigkeit benetzt werden kann.

Für den ersten Schritt, die Herstellung der Pulpe, ist eine große Wanne, ein Pürierstab, Wasser und zerkleinertes Papier nötig. Das Papier wird mit dem Wasser gemeinsam zu einer Masse verarbeitet, aus der im Anschluss daran geschöpft wird. Falls gewünscht, kann zusätzlich Farbe hinzugegeben werden. Zum Schöpfen wird ein Sieb mit einem passenden Rahmen verwendet, die nassen Papiere werden dann auf Tücher gegautscht. Hierfür können beispielsweise alte Servietten wiederverwendet werden. Um die Papiere weiterverwenden zu können, werden sie gepresst und danach getrocknet.

Die getrockneten Papiere werden dann mithilfe unterschiedlichster Bastelmaterialien wie Scheren, Kleber, Linealen und Falzbeinen zu Karten bzw. Umschlägen geformt und verziert. Zur Verzierung können jahreszeitlich angepasste Formen, wie Sterne oder Kerzen zur Adventszeit, oder Trockenblumen verwendet werden.

Im letzten Schritt werden Karten und Umschläge farblich aufeinander abgestimmt und mit Bast o.ä. verpackt. Das Thema der Papierverarbeitung hat den großen Vorteil, dass Bildungs- sowie Teilhabeaspekte weit gestreut möglich sind. Zunächst ist eine Beschäftigung mit dem Thema „Papier“ naheliegend. Darauf aufbauend können, je nach Interesse der Beschäftigten, einige Themenbereiche vertieft werden, wie beispielsweise die Geschichte der Papierherstellung oder Nachhaltigkeit bzw. Recycling (was heisst das überhaupt, Relevanz des Themas…). Weiterhin bietet der Arbeitsschritt der Verzierung die Möglichkeit, sich dem Jahresablauf näher zuzuwenden und sich über die aktuell anliegenden Jahresfeste zu informieren bzw. weiter zu bilden.

Teilhabe am Arbeitsleben wird ermöglicht über die sinnhafte Tätigkeit. Am Ende aller Arbeitsschritte kommt ein Produkt heraus, das in den Händen gehalten und präsentiert werden kann, somit haben alle Teilnehmenden eine Möglichkeit zur Zielorientierung bereits während des Arbeitsprozesses. Durch die Option der Präsentation des Ergebnisses ist die Option des Leistungsaustauschs gegeben, Zufriedenheit der Kund*innen bzw. Anerkennung in Form von Spenden für das Endprodukt ist möglich.

IMPULSFRAGEN
  • Ist für alle Teilnehmenden eine Kompetenzerfahrung im Arbeitsalltag möglich? Ist eine möglichst hetero- oder homogene Gruppe von Vorteil?
  • Welche Klienten können welche Aufgaben übernehmen?
  • Wann und wo kann ich das Endprodukt auf Spendenbasis verkaufen? Können unterschiedliche Rollen (z.B. Verkäufer*in) übernommen werden?
  • Können alle Teilnehmenden an den Bildungsangeboten teilnehmen oder sollte die Gruppe aufgeteilt werden?
  • Können die Teilnehmenden an der Planung des Ablaufs des Angebots teilhaben und Kooperation im Team erfahren? Werden ihre konkreten Ideen zur Gestaltung der Karten berücksichtigt?
DIFFERENZIERUNG

Die nachfolgenden Angaben zur Differenzierung beziehen sich auf drei konkrete Beschäftigte.

  • Unterschiedliche Positionen im Raum sind hilfreich: Stehen, sitzen, auch Arbeiten im Liegen können möglich gemacht werden.
  • Auf Übersensibilität der Hände muss geachtet werden, da fast alle Aufgaben mit den Händen erledigt werden.
  • Die Wassertemperatur beim Schöpfen ist relevant, es wird mit warmem Wasser gearbeitet. Hier kann die Temperatur angepasst werden.
  • Laute Geräusche müssen gut ausgehalten werden, da beispielsweise die Zubereitung der Pulpe mithilfe eines lauten Pürierstabs erfolgt. Wenn Geräuschempfindlichkeit besteht, können beispielsweise Kopfhörer verwendet werden.
  • Besonders geeignet ist das Angebot für Menschen, die Schwierigkeiten mit der Auge-Hand-Koordination haben, da diese hier sehr gut durch verschiedenste Arbeitsschritte trainiert werden kann.
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • Selbstbestimmung wird in diesem Arbeitsangebot in vielen Aspekten des Tagesablaufs ermöglicht. Zunächst kann in einer morgendlichen Arbeitsbesprechung entschieden werden, wer welche Arbeitsschritte übernimmt. Auch kann hier berücksichtigt werden, wer durch welche Mitarbeitenden begleitet wird. Zwar sind die Wahlmöglichkeiten hier beschränkt, dennoch ist Mitbestimmung hier erwünscht und wird dementsprechend gefördert. Jede Entscheidung wird nochmals verbalisiert, um für alle Anwesenden Klarheit zu schaffen.
  • In der folgenden Arbeitszeit kann bei vielen Arbeitsschritten innerhalb der Aufgabe eigenständig entschieden werden, wie der Arbeitsplatz eingerichtet wird oder welche Farben gut zusammen passen. Auch eigene Ideen zur Gestaltung der Karten und Umschläge können untergebracht werden. Durch regelmäßigen Wechsel von Helfer*innen (Azubis, FSJ-ler*innen, etc.) werden häufig neue Ideen und somit Wahlmöglichkeiten eingebracht (wie z.B. die Herstellung von Lesezeichen).
  • Im Alltag wird zudem versucht, die Erfüllung der Grundbedürfnisse möglichst nach Bedarfen auszurichten und auch bei klein erscheinenden Entscheidungen wie die Wahl der Getränke in der Pause so weit wie möglich mitbestimmen zu lassen.
  • Auch die Entscheidung, nicht oder nur sehr wenig zu arbeiten, wird akzeptiert.
  • Die Betreuten können auf die Bedürfnisse der Gruppe hingewiesen werden, da auch Rücksichtnahme auf heterogene Lernfelder und Kompetenzen der Kolleg*innen zum Erwachsensein dazu gehört.
  • Die Übertragung von Verantwortung für einzelne Arbeitsschritte (wie das Schöpfen oder das Verpacken der Karten) spielt ebenfalls eine Rolle im Alltag.
  • Falls die Wünsche der Betreuten nicht genügend berücksichtigt werden können, kann über Praktika in anderen Bereichen nachgedacht werden.
  • Die Gestaltung der Karten wird bewusst als solche bezeichnet, da der Prozess deutlich über das kindliche „Basteln“ hinausgeht.
  • Die Gestaltung des Arbeitsraumes ist bewusst nicht zu bunt gehalten.
  • Bereits in der Arbeitsbesprechung am Morgen findet viel Kommunikation statt. Jede*r der Anwesenden kann seine*ihre Wünsche bezüglich der Arbeitsgestaltung an diesem Tag äußern, sei es durch verbale oder nonverbale Kommunikation. Da die Arbeitsbesprechung in demselben Raum stattfindet wie die Arbeit selbst, kann auch durch Blicke oder darauf zeigen kommuniziert werden, welche Arbeitsschritte gewünscht sind.
  • In vielen Arbeitsschritten kann  auch eine verlangsamte oder zunächst schwer erkennbare Form der Kommunikation Berücksichtigung finden. So kann beispielsweise durch Augenkontakt oder minimale Regungen (z.B. der Finger oder der Hände) zwischen zwei oder mehr Farben für die Gestaltung der Karten gewählt werden.
  • Durch die Option der gemeinsamen Arbeit an einzelnen Schritten wird Interaktion der einzelnen Betreuten unterstützt, beispielsweise kann ein*e Betreute*r aus der Wanne schöpfen, während ein*e Andere*r das Wasser vom Sieb abschöpft.
  • Die Arbeitsbesprechung am Morgen ist unter anderen auch dafür da, den betreuten Menschen Abweichungen von der Arbeitsroutine darzulegen, um einen guten Überblick über den Arbeitstag zu haben und mögliche Überforderungsmomente zu minimieren. Mit der klaren Aufgabenverteilung und dem strukturierten Tagesablauf kann die Atmosphäre im Raum ruhiger gestaltet werden.
  • Wichtig ist die Position der einzelnen Betreuten im Raum, es soll darauf geachtet werden, wie die Bedürfnisse der*des Einzelnen sind: Möchte der Mensch möglichst wenig abgelenkt werden oder möchte er*sie viel am Geschehen teilhaben? Steht der Rollstuhl so, dass dieses Bedürfnis erfüllt wird? Kann gezeigt und wahrgenommen werden, wenn beispielsweise zu viel Lärm empfunden wird?
  • Während des Arbeitsprozesses sollte immer wieder reflektiert werden, ob Hilfestellungen nur aus Gewohnheit oder aus tatsächlicher Notwendigkeit gegeben werden.
  • Durch das Ermöglichen der Durchführung der einzelnen Arbeitsschritte ohne Hilfe können sich die Beteiligten als kompetent in ihrem Tun erfahren. Mit verschiedenen Vorrichtungen,  wie  beispielsweise  zum  Falzen,  können  Arbeitsschritte  eher
  • selbstständiger erledigt werden. Während der Handlungsdurchführung ist bereits eine Rückmeldung zur Qualität der Arbeit möglich, somit sind Lernfortschritte direkt sichtbar.
  • Durch den möglichen Verkauf des Produktes auf Basaren o.ä. kann auch ein Kontakt zu Kund*innen hergestellt werden, welche möglicherweise Feedback geben.
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • die Karte
  • der Umschlag
  • das Falzen
  • die Pulpe
  • das Falzbein
  • die Schere
  • der Kleber
  • die Schneidemaschine
  • die Pause
  • die Hilfe
  • schöpfen
  • kleben
  • falzen
  • schneiden
  • arbeiten
  • schreddern
  • aufräumen
  • saubermachen
  • bunt
  • schön
  • Farbadjektive
  • anstrengend
  • nass
  • trocken
  • feucht
  • Ich brauche…
  • Ich bin fertig
  • Ich möchte…
  • Mir gefällt … (nicht)
BEISPIELPLANUNG

In der Vorphase wird im Team besprochen, wer für welches Angebot zuständig ist. Der Raum wird soweit vorbereitet, dass die einzelnen Betreuten ihren Arbeitsplatz möglichst selbstständig vorbereiten können, das heisst alle nötigen Materialien sind an ihren bekannten Plätzen. Die betreuten Mitarbeiter*innen kommen entweder selbstständig in der Werkstatt an oder werden von Betreuer*innen aus ihren Wohngruppen zur Arbeit begleitet. Im Anschluss daran findet eine Besprechung mit allen Anwesenden statt, wer in welcher Gruppe arbeiten wird (es gibt noch zwei andere Gruppen im Haus). Bereits hier wird vermehrt auf Bedürfnisäußerung geachtet und umgesetzt.

Anschließend findet als Einstieg die Arbeitsbesprechung im Arbeitsraum statt. Hierbei werden konkret die Aufgaben des Tages besprochen und verteilt. Die Betreuten können hier verbal oder nonverbal zeigen, welche Arbeiten sie übernehmen möchten.

Mögliche Arbeiten sind:

  • Pulpe zubereiten (findet meist zu Beginn der Woche statt)
  • Papier schöpfen
  • Tücher ab/aufhängen
  • Papier falzen, reissen
  • Karten, Umschläge kleben
  • Karten gestalten (stanzen, Farben auswählen, Blumen sammeln und pressen)
  • Fertiges Produkt verpacken
  • Produkte ausliefern
  • Papier schreddern

Diese Arbeiten können, müssen aber nicht parallel stattfinden.

Zudem wird besprochen, wer mit wem arbeitet und welche Unterstützung benötigt wird. Falls bereits hier gezeigt wird, dass wenig bis keine Motivation vorhanden ist, wird zunächst verbal motiviert. Sollte dies keinen Erfolg haben, werden für die erste Arbeitsphase bis zur Frühstückspause alternative Angebote aufgezeigt. Falls an diesem Tag besondere Ereignisse stattfinden, werden diese hier besprochen. Auch wird ein Blick auf den Therapieplan geworfen, um für alle Anwesenden klar zu wissen, wer wann wohin muss. Als Signal für den Arbeitsbeginn wird „frohes Schaffen“ gewünscht.

In der anschließenden Phase der Durchführung werden die zugeteilten Arbeiten verrichtet, je nach Bedarf alleine oder mit Unterstützung durch Mitarbeiter*innen oder Kolleg*innen. Teilweise werden die Aufgaben verbal unterstützt, manchmal werden sie teilweise stellvertretend übernommen. Um eine größtmögliche Kompetenzerfahrung darzustellen, wird die Unterstützung bei der Arbeit so gering wie möglich gehalten. Die Orientierung innerhalb des Angebots kann mittels verbaler Anleitung oder Hilfsmitteln wie beispielsweise Sanduhren visualisiert werden.

Den Abschluss der Arbeitszeit stellt das Mittagessen dar. Bereits kurz vorher wird der Arbeitsplatz sauber gemacht und es gibt Raum für individuelle Reflexion des Arbeitsprozesses bzw. -ergebnisses. Hierbei wird darauf geachtet, möglichst konstruktive Kritik bzw. Anerkennung zu vermitteln. Sollte Kritik geübt werden, werden zusätzlich Lösungsstrategien für die Zukunft angeboten. Der Arbeitsplatz wird je nach Bedarfen alleine oder im Team aufgeräumt. Anschließend werden die Tische sauber gemacht und für das Mittagessen vorbereitet


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Die Konkretsierung ist im Rahmen der Multiplikator*innenqualifikation entstanden.