Die Mauer muss weg

KONKRETISIERUNG  ·  Die Mauer muss weg

Vermittlung eines Basisverständnisses von Demokratie vor dem Hintergrund des DDR- Unrechtssystem *

Thomas Franke – Mosaik Berlin

SACHASPEKTE UND POTENTIAL

Wer in der Zukunft lesen will, muss in der Vergangenheit blättern. (André Malraux) *

Die Beschäftigung mit der Geschichte hilft uns, aktuelle Entwicklungen einzuordnen. Sie kann dazu beitragen, Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und sie kann eine Wertschätzung für die Errungenschaften der Gegenwart bewirken.

Es geht also nicht nur um ein „Allgemeinwissen“ um seiner selbst willen. Wer beispielsweise die Geschichte der Weimarer Republik kennt, der ahnt, wie zerbrechlich Demokratien sein können und wird so vielleicht motiviert, sich für die Erhaltung demokratischer Strukturen einzusetzen. Nicht umsonst ist Geschichte daher ein fester Bestandteil unseres Bildungssystems.

Um diesen wichtigen Bildungsbereich auch für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf zugänglich zu machen, müssen mehrere Aspekte berücksichtigt werden.

  • Das Thema muss didaktisch verdichtet werden, so dass die elementarsten Aspekte begreifbar werden.
  • Die Inhalte sollten leicht zugänglich und mit verschiedenen Sinnen erfahrbar sein.
  • Der Bezug zur Gegenwart muss eindrücklich und gut nachvollziehbar gestaltet werden.
  • Sowohl die geschichtlichen Hintergründe, als auch der Gegenwartsbezug sollten handlungsoriert gestaltet werden

Das Thema DDR: „Die Mauer muss weg“, eignet sich in mehrerlei Hinsicht sehr gut für ein bildungspolitisches Projekt für erwachsene Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf und kann in unterschiedlichen Kontexten Verwendung finden.

  • Anhand des Unrechtssystems DDR lässt sich gut verdeutlichen, welche dramatischen Folgen es haben kann, wenn Partizipation an gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen massiv eingeschränkt wird.
  • Es gibt sehr viele Zeitzeugen (möglicherweise gehören auch einige Teilnehmende selbst dazu), die dies eindrücklich vermitteln können.
  • Die Mauer eignet sich hervorragend als physisch erfahrbare Verdichtung des Unrechtsystems, und kann somit ein „Hineinversetzen“ in die geschichtliche Situation auch für Menschen mit starken kognitiven Einschränkungen ermöglichen
  • Eine Auswertung dieser Erfahrungen kann die Motivation stärken, die eigenen Rechte zu erkennen und wahrzunehmen.

Die Thematik eignet sich sicherlich für viele unterschiedliche Kontexte. In diesem konkreten Fall findet sie in Form eines Workshops für Mitglieder eines BFB-Rats Anwendung. Ziel ist dabei die Schulung eines Demokratiebewusstseins und eine Weiterentwicklung der Handlungskompetenzen für die Aufgaben des BFB-Rats.

Die Zielgruppe der BFB-Rats ist sicherlich nicht in jeder Hinsicht repräsentativ für die große Bandbreite an Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. Es handelt sich hier um Teilnehmende mit einem recht guten passiven Wortschatz, die sich verbal oder mithilfe eines Talkers äußern können.

Für Menschen mit besonders hohem Unterstützungsbedarf könnte das Angebot nur in Teilaspekten oder entsprechend angepasst realisiert werden.

Inhalte des Workshops könnten sein:

  • Kurze historische Filmsequenzen
  • Besuch der Gedenkstätte Berliner Mauer oder des DDR-Museums
  • Praktische Erfahrung: Erlebnispädagogisch orientierte Mauererfahrungen (Im Sportraum mit großen Schaumstoffquadern)
  • Kunstprojekt: „Meine“ Berliner Mauer (Bild, Pappmaché, Holzskulptur ein Text, ein Rap etc.), danach Austausch darüber wie die Kunst auf andere wirkt und was die Person damit ausdrücken wollte
  • Gespräch mit einem Zeitzeugen oder stellvertretendes Interview eines Zeitzeugen
  • Die Mauer muss weg – Übertragung auf unsere jetzige Situation,

IMPULSFRAGEN
  • Wie kann die aktive Teilnahme aller Workshopteilnehmenden sichergestellt werden?
  • Welche Formen von UK sind erforderlich?
  • Welche konkreten Ziele sollen für die einzelnen Teilnehmenden erreicht werden?
  • Wieviel Einheiten sind nötig, um das Thema umzusetzen?
  • Wie können einer stark sehbehinderten Teilnehmerin die optischen Erfahrungen der anderen vermittelt werden?
DIFFERENZIERUNG
  • Auf Anspannung, Entspannung achten und Rückschlüsse auf Befindlichkeit ziehen
  • Durch Nachfragen verifizieren und berücksichtigen
  • Verschiedene Methoden nutzen, die eine Lagerungsveränderung nach sich ziehen
  • Das Konstrukt „Mauer“ auch taktil erfahrbar machen (z.B. durch die Übung: Mauer umstürzen im Sportraum und das Kunstprojekt „Meine Mauer“)
  • Beim Besuch der Gedenkstätte Berliner Mauer oder im DDR-Museum, die Mauer erspürbar machen
  • Während des Workshops Sitzordnung so gestalten, dass die genutzten Medien für alle gut wahrnehmbar sind.
  • Symbole oder Bilder ausreichend groß und mit starken Kontrasten nutzen
  • wichtige Informationen, die von bestimmten TN nicht ausreichend wahrgenommen werden können, nochmal akustisch verdeutlichen
  • Ablaufplan des Workshops vortragen und visualisieren
  • Sachverhalte mit Symbolen oder anderen UK-Methoden verdeutlichen
  • Immer wieder verifizieren, ob das Gesagte von allen verstanden wurde
  • Wenn möglich, Bilder und Videos zu geeigneten Themen einsetzen
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • Die Teilnahme am Projekt ist freiwillig
  • Bei der Erstellung des Bildungsprojekts von vorneherein darauf achten, dass es die Möglichkeit der Wahl gibt. (z.B. Besuch der Gedenkstätte Berliner Mauer oder des DDR-Museums, Wahl der künstlerischen Ausdrucksform etc.)
  • Im Rahmen des Projekts immer wieder Möglichkeiten der Beteiligung schaffen, z.B. im Rahmen eines Brainstormings oder Meinungsbildes
  • Offen bleiben für Vorschläge der TN
  • Auf einen angemessenen und respektvollen Umgang und Tonfall untereinander achten
  • Harte Fakten wie (Tod an der Mauer o.ä.) nicht aussparen
  • Bei der Erstellung von Materialen auf die „erwachsene“ Gestaltung achten
  • Gegenseitigen Respekt für unterschiedliche Meinungen vorleben und einfordern, dabei aber für Klärung von Sachverhalten und Beseitigung von Missverständnissen sorgen.
  • Durch Visualisierung und z.B. Nutzung vertrauter TEACCH-Elemente eine gute Orientierung über den Ablauf des Workshops geben.
  • Bei der Darstellung geschichtlicher Fakten immer wieder auf die Nutzung aller Sinne achten.
  • Dafür sorgen, dass allen Mitgliedern, die notwendigen Mittel der UK zur Verfügung stehen und genutzt werden
  • Die Workshopleitung muss sicherstellen, dass die Teilnehmenden sich untereinander verstehen und möglicherweise schwer zu verstehende oder missverständliche Aussagen von Einzelnen für alle nachvollziehbar wiederholen bzw. zusammenzufassen
  • Bei Aufgaben in denen die Beteiligung der TN gefragt ist, muss jeder die Chance bekommt, sich zu Wort zu melden
  • Darauf achten, dass sich alle Teilnehmenden des Workshops während der Sitzung wohl und sicher fühlen.
  • Klare Regeln gegenseitigen Respekts aufstellen (Niemand darf wegen irgendeiner Äußerung, niedergemacht oder ausgelacht werden, andere Meinungen sind erlaubt, wir hören einander zu und fallen uns nicht ins Wort etc.)
  • Durch Bereitstellung von kleinen Snacks und Getränken für eine angenehme Atmosphäre sorgen, ohne dass dies zu sehr im Vordergrund steht
  • Belastbarkeit und Bedarfe der einzelnen Teilnehmenden beachten (entsprechend ggf. Pausen anpassen, Toilettengang einschieben u.ä.
  • Alle Teilnehmenden könnten zu Beginn des Workshops so etwas wie eine Teilnahmebestätigung oder ein Programm erhalten, das könnte auch zu Beginn wie eine „Eintrittskarte“ kontrolliert werden, um die Bedeutung der Teilnahme zu verdeutlichen
  • Bei einem Brainstorming oder Meinungsbild im Rahmen des Workshops muss allen Teilnehmenden die Möglichkeit gegeben werden, ihre Assoziationen und Ideen einzubringen. Diese sollten dann auch aufgeschrieben werden (auch wenn TN nicht lesen können, vermittelt diese Handlung dennoch: Ich werde ernst genommen!)
  • Die Teilnehmenden mit Aufgaben betrauen, z.B. etwas (mit Hilfe) zu recherchieren, oder sich Fragen für ein Interview mit einem Zeitzeugen überlegen
  • Im Anschluss an den Workshop oder vielleicht auch schon nach einzelnen Seminarblöcken kann eine Anerkennung kann z.B. durch Beiträge auf dem Youtube-Channel des Trägers erfolgen, durch Artikel in der Firmenzeitung oder kurze Posts in den sozialen Medien.
  • Auch der häusliche Bereich (Eltern oder WH), sollten über die Workshopteilnahme der Teilnehmenden informiert sein und so die Möglichkeit erhalten, diese Erfahrungen zuhause zu thematisieren und wertschätzend anzuerkennen.
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • Die DDR
  • Die Mauer
  • Diktatur
  • SED
  • Geheimdienst
  • Stasi
  • Demokratie
  • Zwei Staaten
  • Osten
  • Westen
  • Meinungsfreiheit
  • Reisefreiheit
  • Fluchtversuche
  • Mauertote
  • Mauerfall
  • Demonstrationen
  • Tag der Deutschen Einheit
  • lügen
  • bauen
  • überwachen
  • fliehen
  • schießen
  • sterben
  • demonstrieren
  • freuen
  • wählen
  • lernen
  • besorgt
  • bedrohlich
  • eingesperrt
  • gefangen
  • ängstlich
  • frustriert
  • wütend
  • mutig
  • zufrieden
  • glücklich
  • unsicher
  • Die Regierung will (nicht)
  • Die Menschen wollen (nicht)
  • Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen
  • Wir sind das Volk
  • Die Mauer muss weg
BEISPIELPLANUNG
  • Erstellen eines Einladungsflyers zum Workshop in einfacher Sprache. Einbindung der UK-Beauftragten bei der Darstellung des Inhaltes mittels einfacher Symbole (z.B. Metacom). Nutzung von Fotos (Lizenzfreie, kostenlose Bilder gibt es z.B. bei Pixabay)
  • Vorstellung des Bildungsprojekts in der Teamsitzung. Darstellung der Sachaspekte und Potentiale (s. Punkt 1.) Die Gruppenleitenden erhalten zur Information den erstellten Einladungsflyer, um das Thema mit den potentiellen Workshop- teilnehmenden besprechen und Fragen beantworten zu können.
  • Ausgabe der Einladungsflyer mit entsprechender Erklärung und verbaler Einladung an die potenziellen Teilnehmenden (in diesem Fall die Mitglieder des BFB-Rats der Einrichtung). Bekanntgabe der Anmeldefrist. (z.B. zwei Wochen)
  • Erstellen eines Workshop-Begleithefts, mit Infos in einfacher Sprache, Fotos und Raum für eigene Bilder, Fotos und ggf. Notizen.
  • Zeitzeugin oder Zeitzeugen aus dem Unternehmen finden, der oder die bereit ist, sich von unseren Teilnehmenden interviewen zu lassen
  • Die jeweiligen Workshop-Module sind auf ca. eine bis maximal eineinhalb Stunden angelegt. Sie finden im Abstand von ca. einer Woche statt.

Einführung in das Thema

  • Vorbereitung des Seminarraums (in diesem Fall des Sportraums: Beamer, Laptop, Leinwand, Stühle, Begleithefte)
  • Zum Einstieg Geschichte erzählen, die greifbar macht, wie die Menschen sich am Tag des Mauerbaus gefühlt haben müssen. Zum Beispiel: „Stellt euch vor, ihr wacht eines morgens auf und wollt wie immer Brötchen vom Bäcker holen, aber als ihr in die Straße einbiegen wollt in der der Laden ist, ist plötzlich die Straße gesperrt. Es geht nicht weiter. Ihr nehmt einen anderen Weg, doch auch der ist versperrt. Nun wird die Zeit knapp, ihr müsst zur Arbeit, aber plötzlich kann der Bus nicht mehr weiterfahren … Ihr erreicht eure Arbeit, eure Freunde, eure Verwandten nicht mehr. Wie fühlt sich das an?“
  • Austausch über die Empfindungen
  • Ablauf des Workshop-Moduls darstellen (Laptop und Beamer), Ausgabe der Begleithefte
  • Abfrage des Wissens über die DDR, Einbringen eigener Erfahrungen mit der DDR.
  • Tieferer Einstieg in das Thema mit Hilfe von Kurzfilmen:
  • Eingemauert – die innerdeutsche Grenze
  • Endlich Freiheit – 1989, das Jahr in dem die Mauer fiel (in Auszügen)
  • Austausch über die beiden Filme. Mögliche Fragen:
    Was hat euch am meisten beeindruckt?
    Was ist eine Diktatur?
  • Was bedeutet Demokratie?
  • Warum hat die Regierung der DDR eine Mauer gebaut?
    Die Menschen die geflohen sind, haben alles zurückgelassen. Sie hätten sogar sterben können. Warum haben sie das trotzdem gemacht?
    Der letzte Film hieß: Endlich Freiheit. Was bedeutet Freiheit eigentlich? Woran merkt man, dass man nicht frei ist?
  • Mit Hilfe können die TN, die Antwort auf diese Fragen in ihr Begleitheft notieren oder mittels Symbolen aufkleben
  • Abstimmung über das nächste Modul: Ausflug ins DDR-Museum oder zur Mauer Gedenkstätte

Ausflug

  • Je nach Abstimmungsergebnis, Ausflug ins DDR-Museum oder zur Gedenkstätte Berliner Mauer
  • Organisation der Fahrt. Teilnehmende werden entweder mit Sonderfahrdiensten oder einem firmeneigenen Bus zum Museum oder zur Gedenkstätte gebracht.
  • Es sollten ausreichend Begleitpersonen dabei sein.
  • Es steht eine Fotokamera zur Verfügung, damit Teilnehmende aufnehmen können, was sie am meisten beeindruckt.
  • Im Anschluss Austausch über die Eindrücke. Ausdrucken der Fotos, Einkleben von ein oder zwei Bildern in das Begleitheft

Interview mit einer Zeitzeug*in

  • In der Vorbereitung, Absprache mit Zeitzeugin bzw. Zeitzeugen treffen (Gespräch in Präsenz oder per Zoom, Flipchart bereitstellen, Stühle aufstellen)
  • Kurze mündliche Einführung in das heutige Thema, Sammeln von Fragen am Flipchart
  • Interview
  • Auswertung im gemeinsamen Gespräch
  • Alle Teilnehmenden notieren sich (mit Hilfe) eine Aussage oder einen Gedanken im Begleitheft, den sie besonders wichtig fanden

Erlebnispädagogische Aufarbeitung des Themas

  • Notwendige Materialen bereitstellen (Schaumstoffquader, Materialien für Kunstaktion, Flipchart)
  • Zusammenarbeit mit Bewegungstherapeutin
  • Kurze Einführung in das Thema
  • Alle Teilnehmenden bekommen die Chance (auf freiwilliger Basis) eine Mauererfahrung zu machen. Er oder Sie wird mit hohen Schaumstoffquadern umbaut, die Personen außerhalb der Mauer unterhalten sich, trinken Kaffee und essen Kekse. Diese Situation muss die Person ein paar Minuten aushalten, bevor sie sich befreien darf. Anschließend erfolgt ein Austausch über die eigenen Empfindungen und Gedanken.
  • Je nach Gegebenheiten wäre es auch denkbar, dass zwei Personen gemeinsam die Erfahrung des Eingesperrtseins machen. Während die Personen jenseits der Mauer Kaffee und Kekse bekommen, haben die Menschen innerhalb der Mauer nur Wasser und trockenes Knäckebrot (als Symbol für die unterschiedlichen Lebensstandards). Hier können soziale und gruppendynamische Prozesse im anschließenden Gespräch noch besser aufgegriffen werden
  • Auswertung der Erfahrungen am Flipchart, Während des Prozesses werden Fotos gemacht, sie können anschließend zusammen mit den wichtigsten Aussagen in das Begleitheft geklebt werden

Auswertung und künstlerische Aufarbeitung des Themas

  • In der Vorbereitung, Absprache mit Kunsttherapeutin treffen (Kunstmaterialien und Flipchart bereitstellen, Stühle aufstellen)
  • Zusammenfassung der bisherigen Einheiten.
  • Gegensatz Diktatur – Demokratie verdeutlichen (Film)
  • Was bedeutet Demokratie (Mitbestimmung) im BFB? Im Gespräch gemeinsam erarbeiten
  • Im Anschluss: Kunstprojekt: „Die Mauer muss weg“ Alle Teilnehmenden haben die Möglichkeit dieses Thema mit einem Bild, einer Collage oder einer kreativen Arbeit auszudrücken. Das Ergebnis wird mit einer Aussage der jeweiligen TN betitelt und eingeheftet bzw. abfotografiert und als Foto eingeheftet
  • Im Anschluss wird ein Beitrag für die firmeneigene Zeitung: MOSAIK INFO erstellt
  • gibt es auch einen kleinen Film, der über die sozialen Medien und den firmeneigenen Youtube-Kanal Außenwirkung entfalten kann

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Die Konkretsierung ist im Rahmen der Multiplikator*innenqualifikation entstanden.