Wahl zum Werkstattrat

KONKRETISIERUNG  ·  Wahl zum Werkstattrat *

Anja Heß – Sozialwerk Breisgau gGmbH

In diesem Angebot zur politischen Bildung von Menschen mit komplexen Behinderungen soll es konkret um die Wahl zum Werkstattrat gehen. Hierbei ist einerseits wichtig, Formen der Mitbestimmung im Alltag zu ermöglichen und andererseits, den konkreten Wahlvorgang so verständlich und individuell durchführbar wie möglich zu gestalten.

Sachaspekte und Potential

Als Grundlage für die Durchführung der Wahl zum Werkstattrat ist zunächst der Alltag der Menschen zu betrachten. Wenn hierbei bereits viel Selbstbestimmung möglich ist und unterschiedliche Optionen des Wählens/ Entscheidens bekannt gemacht werden, können diese leichter angewendet werden. Formen der Mitbestimmung müssen Anwendung finden und Entscheidungen dann konsequent berücksichtigt werden. Bereits in kleinen Entscheidungen muss Selbstwirksamkeit stattfinden. Somit ist das Angebot unterteilt in einerseits die klare Mitbestimmung im Alltag und andererseits die konkrete Auseinandersetzung mit der Wahl zum Werkstattbeirat.

Die verschiedenen Prozesse, die die Auseinandersetzung mit Kultur bestimmen, sollten bereits im Arbeitsalltag berücksichtigt werden. Die rezeptiven und reflexiven Prozesse finden während des Alltags in der Werkstatt statt, beispielsweise in Form eines Bildungsangebotes über Wahlen und anschließender Diskussionsrunde. Der aktive Prozess kann dann schließlich einen Abschluss darstellen. Um den rezeptiven Prozess zu gestalten, wird zunächst ein Austausch der Teilnehmenden gefördert: Sie erhalten Fragestellungen, wo sie in ihrem Leben bereits ähnliche Wahlsituationen erlebt haben und welche bisherigen Erfahrungen sie vielleicht mit dem Werkstattrat hatten. Zusätzlich wird der aktuelle Werkstattrat eingeladen, um über die Arbeit zu berichten. Der aktive Prozess, die eigentliche Wahl, sowie deren Auswertung stellen dann den Abschluss des Angebotes dar.

Die Relevanz des Themas liegt klar auf der Hand: politische Mitbestimmung ist ein großer Teil des Lebens in einer Gesellschaft, die Beschäftigung damit ist bereits ein relevanter Aspekt an kultureller Teilhabe. Bildungsaspekte gehen über Selbstbestimmung im kleinen und/ oder großen Rahmen über Grundlagen der Demokratie bis hin zum Erleben einer Wahlsituation.

IMPULSFRAGEN
  • Wie kann bereits im Alltag der Betreuten Selbstbestimmung stattfinden?
  • Wie können unterschiedliche Methoden zum Treffen einer Auswahl für jeden Menschen aussehen?
  • Wie muss die Vorbereitung strukturiert werden, damit alle Teilnehmenden so viel wie möglich erfassen können?
  • Wie kann an die Biografie der Beschäftigten angeknüpft werden?
  • Wie kann die Wahl möglichst frei und geheim ablaufen, auch bei Menschen die eine Unterstützung beim Wählen brauchen?
  • Wie werden die Wahlzettel verständlich gestaltet, wie müssen diese aussehen um allen Kandidierenden die gleichen Chancen zu gewährleisten?
  • Können die Teilnehmenden in der Vorbereitung ihre Wünsche bezüglich der Gestaltung der Vorbereitung und des Ablaufs der Wahl klarmachen?
DIFFERENZIERUNG

Die nachfolgenden Angaben zur Differenzierung beziehen sich auf drei konkrete Beschäftigte.

  • Die einzelnen Teilnehmenden müssen möglichst bequem sitzen/ stehen/ liegen, jedoch nicht zu entspannt, da eine gewisse Aufmerksamkeit nötig ist.
  • Während des Bildungsangebotes sollten Störfaktoren minimiert werden um eine Überforderung zu vermeiden.
  • Ausserdem muss darauf geachtet werden, dass Menschen mit auditiven Wahrnehmungsschwierigkeiten so platziert sind, dass sie so viel wie möglich hören können.
HANDLUNGSLEITENDE PRINZIPIEN
  • Zunächst erfahren die Teilnehmenden in ihrem Alltag bereits viele Situationen in denen sie mitbestimmen sollen/ können, wie in der Wahl, wer sie in verschiedenen Situationen begleiten soll (wie Essen, Pflege etc.). Zwar sind die Auswahlmöglichkeiten beschränkt, dennoch ist hier die Mitbestimmung erwünscht und wird dementsprechend gefördert. Wenn seitens der Teilnehmenden keine Auswahl getroffen werden möchte, wird auch das als Entscheidung akzeptiert. Jede getroffene (oder auch nicht getroffene!) Entscheidung wird nochmals verbalisiert um für alle Anwesenden nachvollziehbar zu sein. Es wird im Alltag versucht, die Erfüllung der Grundbedürfnisse möglichst an den Bedarfen auszurichten.
  • Weiterhin werden im Arbeitsalltag auch die Initiativen und Vorschläge der Teilnehmenden berücksichtigt. Hierfür müssen manchmal auch kleinste Signale erahnt werden um Vorschläge und Wünsche umzusetzen.
  • Neue Materialien werden immer wieder angeboten um neue Entscheidungsmöglichkeiten bekannt zu machen und für die Zukunft als Option zu eröffnen. Auch bei der Gestaltung der Materialien sollten die Teilnehmenden mitbestimmen können (brauchen wir mehr Fotos, mehr Texte, mehr auditive Optionen, möchten wir mehr mit dem Werkstattrat persönlich arbeiten etc.) und werden aktiv zu Rückmeldungen zu den Einheiten befragt. Unterschiedliche Abstimmungsprozesse können in der Gestaltung des weiteren Ablaufs des Angebots etabliert werden, beispielsweise sollen die Teilnehmenden in einer offenen Abstimmung selbst entscheiden, mit welchen Materialien in Zukunft weiter gearbeitet wird.
  • Bei der Wahl selbst wird die Entscheidung gespiegelt sowie durch das Kreuz visualisiert.
  • Die inhaltliche Ausbildung des Angebots ist bereits recht spezifisch auf Erwachsene ausgerichtet. Nun ist in der konkreten Gestaltung der Materialien darauf zu achten, dass besonders die visuellen Darstellungen nicht zu kindlich gehalten sind.
  • Die Verantwortung, die mit Wahlen einhergeht wird im Laufe des Angebots dargestellt.
  • Die einzelnen Lebenserfahrungen der Teilnehmenden werden im Lauf der Einheiten
  • besprochen und berücksichtigt.
  • Kommunikation findet in jedem Teil des Alltags statt. Da jede Entscheidung kommuniziert werden muss (auch die Entscheidung, nichts zu entscheiden!) müssen die Betreuenden die Teilnehmenden gut kennen und einschätzen lernen. Um Kommunikation zu erleichtern, sollten die Materialien auch ausserhalb des Angebotes in Sichtweite bzw. für alle erreichbar platziert werden, um eventuell aufkommende Fragen mit diesen Hilfsmitteln klären zu können. Auch eine verlangsamte oder anderweitig erschwerte Kommunikation kann innerhalb des Bildungsangebotes als auch im Arbeitsalltag berücksichtigt werden.
  • Eine Interaktion der Betreuten wird vor allem durch die enge Zusammenarbeit mit dem aktuellen Werkstattrat gefördert. Hierdurch werden möglicherweise neue Menschen bekannt gemacht. Gleichzeitig interagieren die Teilnehmenden sowohl untereinander, beispielsweise in Gesprächsrunden über ihre Erfahrungen, als auch mit den unterschiedlichen Betreuenden.
  • Die Bedürfnisse der Teilnehmenden sollten zu jeder Zeit des Alltags und des Angebots aufmerksam im Blick behalten werden. Hierzu zählt, dass alle Betreuenden auf grundlegendes körperliches Wohlbefinden achten und kleinste Signale der
  • Bedürfnisäußerung bemerken und berücksichtigen. Sollte eine Pause nötig sein, wird diese ermöglicht.
  • Mit einer Besprechung des Ablaufs und dem damit einhergehenden Überblick über den Tag können mögliche Abweichungen vom Alltag bereits vorher geklärt und somit Unsicherheiten vorgebeugt werden. Mit dieser Strukturierung des Tagesablaufs kann die Atmosphäre des gesamten Angebots ruhiger gestaltet werden.
  • Zur respektvollen Haltung zählt auch das Akzeptieren von Entscheidungen, auch wenn die Entscheidung darin besteht, nichts entscheiden zu wollen.
  • Zuvor wird das Ergebnis (also ein neuer Werkstattrat) in Aussicht gestellt, somit ist der Impuls gegeben, sich an der Wahl zu beteiligen.
  • Durch die Teilnahme an einer Wahl wird den Teilnehmenden etwas zugetraut und sie können aktiv an der Gestaltung der Zukunft des Werkstattrates teilnehmen.
  • Der Werkstattrat hat eine Funktion die von Bedeutung für die Betreuten ist.
  • Bereits im Vorfeld sollte genau überprüft werden, wie viel Hilfestellung tatsächlich notwendig ist um an der Wahl teilzunehmen. Braucht der*die Teilnehmer*in tatsächlich Hilfe beim Ausfüllen des Wahlzettels oder kann er*sie dies alleine?
THEMENBEZOGENES WORTFELD
  • dieWahl
  • derWerkstattrat
  • diePause
  • dieHilfe
  • dieMitbestimmung
  • derStift
  • der Wahlzettel
  • das Plakat
  • die Kandidierenden
  • aussuchen
  • (aus-)wählen
  • anschauen
  • bestimmen
  • wichtig
  • anstrengend
  • müde
  • Ich möchte…(nicht)
  • Ich brauche…
  • Ich bin (un)zufrieden
  • Ich bin fertig.
BEISPIELPLANUNG

In der Vorphase wird im Team geklärt, wer welche Aufgaben übernimmt und wer für welche Angelegenheiten zuständig ist. Der Raum wird so vorbereitet, dass ein möglichst ruhiger und entspannter Ablauf der konkreten Einheiten möglich ist.

Zum Einstieg findet eine Hinwendung zum Thema statt. Die Wahl zum Werkstattrat als Ziel des Projekts wird vorgestellt. Ein Überblick über die aktuelle Einheit wird gegeben.

  • Die Durchführung findet in jeder Einheit mit ähnlichem Ablauf aber unterschiedlichem Inhalt statt, die einzelnen Abschnitte des Projekts sind wie folgt:
  • In der ersten Einheit wird eine Austauschrunde über bisherige Erfahrungen mitdemokratischer Mitbestimmung und Wahlen ermöglicht .
  • Die zweite Einheit findet gemeinsam mit dem aktuellen Werkstattrat statt, hier können auch Fragen gestellt werden und der Rat stellt sich selbst und seine Aufgaben vor.
  • Die einzelnen Kandidierenden werden in der dritten Einheit vorgestellt und haben die Option, sich persönlich vorzustellen oder Fotos o.ä. mitzubringen.
  • In der vierten Einheit sollen die Wahlzettel genauer angesehen werden und das System (ein Kreuz pro Teilnehmenden) wird erklärt.
  • Die fünfte Einheit ist die Durchführung der Wahl mit Hilfe durch Betreuende, falls nötig.
  • In der sechsten und letzten Einheit wird der neu gewählte Rat

Die aktiven, rezeptiven und reflexiven Prozesse sind in der Regel gut zu erkennen: Einerseits soll Austausch untereinander stattfinden und gefördert werden, andererseits gibt es Input von außen durch Werkstattrat und/oder Betreuende. Aktiv und reflexiv wird besonders in den zwei letzten Einheiten gearbeitet.

In der fünften Einheit, der Durchführung der Wahl, sind einzelne Punkte besonders zu berücksichtigen. Zunächst muss es eine Form der Verschwiegenheitsvereinbarung für Betreuende geben (siehe Anhang 1), in der sie versichern keine Wahlentscheidungen weiterzugeben.

Der Wahlzettel selbst muss betrachtet werden:

  • Ist der Zettel selbsterklärend?
  • Wenn nicht, sind Verantwortliche da, die das Vorgehen erläutern?
  • Weiterhin müssen alle Fotos das gleiche Format haben, um die Entscheidung fair zu halten und die Auswahl nicht künstlichzu erleichtern (durch ein besonders grosses oder schönes Foto o.ä.).
  • Eventuell ist es sinnvoll, die Reihenfolge der Fotos auf den unterschiedlichen Zetteln zufällig zu ändern.

Den Abschluss den Angebots stellt die Vorstellung der gewählten Werkstattrates dar. Gemeinsam wird in der Gruppe reflektiert, ob jede*r der Teilnehmenden zufrieden mit dem Ablauf und Inhalt des Angebots ist. Gemeinsam wird überlegt, ob eine Weiterführung der Gesprächsrunden gewünscht wird oder ob einzelne Teilnehmende mehr über demokratische Prozesse erfahren möchten. Die Dauer der einzelnen Einheiten kann stark an die Bedarfe der Gruppe angepasst werden.


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Die Konkretsierung ist im Rahmen der Multiplikator*innenqualifikation entstanden.